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Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung

Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung

Titel: Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafton,Sue
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eine Art Belüftungsanlage. Eine große, zerdrückte braune Papiertüte stand auf dem Tisch in der Mitte.
    Sergeant Rhineberger öffnete eine der unteren Schranktüren, riss ein Stück weißes Papier von einer breiten Rolle darin ab und holte ein Paar Einmal-Latexhandschuhe heraus. »Ich habe das Büro des Leichenbeschauers gebeten, die Mandibula und die Maxilla rüberzuschicken. Ich dachte mir, Sie möchten sich die vielleicht auch ansehen.«
    Er legte das Stück Papier zum Schutz auf den Tisch, zog die Handschuhe an und brach das Siegel an der Tüte mit den Beweismitteln auf. Dann nahm er die zusammengefaltete Plane und mehrere Kleidungsstücke heraus und breitete sie auf dem Papier aus. Mandel zog einen Packen EinmalHandschuhe aus der Spenderbox auf der Arbeitsfläche und reichte Stacey, Dolan und mir je ein Paar. Die Männer hatten sich bislang über Polizei-Interna unterhalten, doch nun verfielen wir alle in respektvolles Schweigen. Achtzehn Jahre nach ihrem gewaltsamen Tod gab es nun nur noch das Knistern von weißem Papier und das Schnalzen von Handschuhen. Es war ein seltsames Gefühl, Dinge vor mir zu sehen, die ich bislang nur von verblassten Fotos kannte. Die Bluse und die Hose mit den aufgedruckten Margeriten waren der Toten vom Leib geschnitten worden, und die einzelnen Kleidungsstücke breiteten sich nun wuchernd und unförmig über die Tischplatte aus. Der Stoff war fleckig und feucht, als wäre er voll nassem Sand. Die Blutflecken sahen eher aus wie Rostspuren. Ihre Sandalen waren aus Leder und hatten Verzierungen aus Messingschnallen, die durch Lederbänder miteinander verbunden waren. Ein schmaler Lederstreifen hatte ihren großen Zeh an beiden Füßen von den anderen Zehen getrennt. Die Sandalen sahen neu aus, wenn man von den etwas dunkleren Stellen absah, wo ihre Fersen und die Ballen ihrer nackten Füße auf der Innensohle unauslöschliche Spuren hinterlassen hatten.
    Rhineberger öffnete ein Behältnis und nahm Ober-und Unterkiefer der Unbekannten heraus. An ihren Zähnen waren umfassende Zahnreparaturen vorgenommen worden, etwa sechzehn oder achtzehn Amalgamfüllungen. Als er den Ober- auf den Unterkiefer setzte und die Kerben und Bissflächen dort, wo sie zusammentrafen, einander anpasste, konnten wir das Ausmaß ihres Überbisses sowie den schiefen Eckzahn auf der linken Seite erkennen. »Nicht zu fassen, dass niemand sie anhand der Beschreibung ihrer Zähne erkannt hat. Charlie sagt, das alles ist schätzungsweise erst ein oder zwei Jahre vor ihrem Tod gemacht worden. Man sieht, dass die Weisheitszähne noch nicht durchgekommen sind. Er meint, sie war wohl noch keine achtzehn.« Er legte die Kiefer wieder in das Behältnis, ließ aber den Deckel offen.
    Ihre persönliche Habe bedeckte kaum die Tischplatte. Das war alles, was von ihr übrig war, unterm Strich. Ich merkte, dass es mich bestürzte, dass sich ein Leben auf so dürftige Reste reduzieren ließ. Bestimmt hatte sie sich wesentlich mehr von der Welt erhofft – Liebe, Ehe, Kinder vielleicht –, zumindest aber eine geschätzte Konstante unter ihren Freunden und Verwandten zu sein. Ihre sterblichen Überreste ruhten nun in einem Grab ohne Grabstein, dessen Lage mit einer Parzellennummer im Friedhofsregister verzeichnet war. Trotzdem wirkte sie seltsam real, obwohl wir nur so wenig von ihr wussten. Ich hatte das Schwarz-Weiß-Foto von der Stelle gesehen, wo sie im trockenen Augustgras gelegen hatte, das Gesicht durch den Winkel ihres Körpers und die Sträucher dazwischen verborgen. Ihre Taillenpartie, ein Teil des Unterarms und ein Stück Wade waren alles, was man aus der Kameraperspektive sah, und ihr Fleisch war geschwollen und fleckig von der Verwesung, als hätte sie Blutergüsse.
    Ich nahm die Plastiktüte, in der eine Strähne ihres Haars lag, das sauber und seidig wirkte und einen gedämpften Blondton aufwies. Eine zweite Plastiktüte enthielt zwei zarte Ohrringe, schlichte Goldreifen. Das einzige verbliebene Beweisstück für den Mord selbst war das Stück dünnen, mit weißem Plastik überzogenen Kabels, mit dem ihre Handgelenke gefesselt gewesen waren. Die Plane bestand aus mittelschwerem Segeltuch. Ihre Nähte waren mit rotem Faden gearbeitet, und in regelmäßigen Abständen waren Metallösen eingelassen. Sie sah nach Massenware aus – die Abdeckplane eines Malers oder eine Beschirmung, die einen Klafter Feuerholz vor Regen schützen sollte. In einer Ecke war eine rote Stelle, die aussah wie ein Marienkäfer oder ein

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