Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
Zitrusfrüchte – vielleicht Grapefruit – und war sehr frisch und leicht.
»Wie trinkst du ihn?«
»Ach, ganz egal. Schwarz ist mir recht.«
»Es dauert nur einen Moment.«
»Ich hab’s nicht eilig.«
Ich entschuldigte mich und ging durch den Vorraum in die Küche, wo ich mich an die Arbeitsplatte lehnte und um Atem rang. Seit dem Moment, als sie sich vorgestellt hatte, hatte ich Gelassenheit vorgetäuscht. Das war also meine Tante, die Schwester meiner Mutter. Ich kannte Tasha und Liza, die älteste und die jüngste von Susannas drei Töchtern. Von Pam, der dritten, hatte ich gehört, sie aber nie kennen gelernt. Meine Einführung in die Familie hatte mich vollkommen aus der Fassung gebracht, da ich nichts von ihrer Existenz geahnt hatte. Ein Zufall im Zuge von Ermittlungen hatte sie vor drei Jahren zum Vorschein gebracht wie ein Spinnennest in der Tasche eines alten Mantels. Da meine Eltern und Tante Gin nicht mehr lebten, war nun wohl Susanna eine meiner engsten Verwandten.
Ich klopfte mir aufs Brustbein. Das war vielleicht abartig. Ich kann mich nicht an meine Mutter erinnern und hatte nie ein konkretes Bild von ihr vor Augen gehabt. Trotzdem spürte ich die Verwandtschaft. Alle Kinsey-Frauen glichen einander sehr, zumindest soweit ich gehört hatte. Auf jeden Fall sah ich Tasha ähnlich, und sie hatte mir erzählt, dass sie und ihre Schwester Pam sich so sehr glichen, dass man sie oft für Zwillinge hielt. Liza ähnelte ich zwar wesentlich weniger, aber selbst da konnte niemand die Verwandtschaft leugnen.
Ich nahm die Kaffeekanne und füllte sie mit Wasser, das ich in den Tank der Maschine goss. Filterpapier, Kaffeedose. Zwar sah ich meine Hände nicht zittern, doch die Fläche neben der Kaffeemaschine füllte sich mit dunklen Bröseln. Ich packte einen Schwamm, machte ihn nass und wischte die Fläche ab, dann stellte ich die Kanne in die Maschine und drückte auf den Einschaltknopf. Mir war mulmig bei dem Gedanken, mit Susanna zu reden, aber ich konnte ja schlecht hier draußen bleiben, bis der Kaffee fertig war. Ich nahm zwei Becher aus dem Wandschrank und stellte sie auf die Arbeitsfläche. Wenn ich Brandy dagehabt hätte, hätte ich auf der Stelle einen gekippt.
Auf dem Rückweg ins Büro versuchte ich mir in Erinnerung zu rufen, wie man sich »normal« fühlt, damit ich diesen Zustand simulieren konnte. »Der Kaffee ist gleich fertig. Hoffentlich hast du nicht zu lang auf mich warten müssen. Ich wurde beruflich aufgehalten.«
Sie lächelte und sah mir zu, wie ich auf der anderen Seite des Schreibtischs Platz nahm. »Keine Sorge. Ich kann mich jederzeit selbst unterhalten.« Sie war hübsch: eine gerade Nase und nur ein Hauch von Make-up, um ihrem Teint eine gleichmäßige Farbe zu verleihen. Sie hatte ein paar Sonnenschäden oder verblasste Sommersprossen und um Augen und Mund eine Reihe feiner Fältchen. Das rote Kostüm stand ihr, und die Jacke kontrastierte mit dem weißen Top darunter. Nun begriff ich, wo Tasha ihren Kleidergeschmack herhatte.
Sie hielt einen Finger in die Höhe. »Ach, fast hätte ich’s vergessen. Ich habe dir etwas mitgebracht.«
Sie bückte sich, fasste in ihre Einkaufstasche und kam mit einem Schwarz-Weiß-Foto in einem silbernen Rahmen wieder nach oben. Sie hielt es mir hin, und ich nahm es und drehte es um, damit ich sehen konnte, was darauf war. »Das bin ich mit deiner Mutter am Tag ihres Debütantinnenballs, am 5. Juli 1935. Ich war neun.«
»Ah.« Ich sah nach unten, allerdings nur lange genug, um einen flüchtigen Eindruck von der achtzehnjährigen Rita Cynthia Kinsey in ihrem langen weißen Kleid zu bekommen. Sie beugte sich lachend nach vorn und hatte die Arme um ihre jüngste Schwester gelegt. Mit den lockigen, dunklen Haaren, die ihr über die Schultern fielen, sah meine Mutter unglaublich jung aus. Sie musste dunkelroten Lippenstift getragen haben, da ihr Mund auf dem Schwarz-Weiß-Foto schwarz wirkte. Susanna hatte ein langes Kleid voller Rüschen an, das wie eine Miniaturversion von Ritas Kleid aussah.
Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde, doch ich hielt es abgewandt, bis die Gefühlsaufwallung vorüber war. Der Schmerz war scharf, wie wenn mir jemand den Deckel einer Kiste auf die Fingerspitzen geschlagen hätte. Am liebsten hätte ich vor Verblüffung aufgeschrien. Durch reine Willenskraft schottete ich mich emotional ab. Ich lächelte Susanna an, doch mein Gesicht war verkrampft. »Wirklich nett von dir. Ich hatte bis jetzt kein Foto von
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