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Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache

Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache

Titel: Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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gemustert hatte, legte sie verblüffenderweise das Gesicht an meine Schulter und begann, an ihrer Faust zu kauen. Sie wand sich und gab kleine Grunzlaute von sich, die auf ein Bedürfnis nach baldiger Fütterung hinwiesen, das hoffentlich nicht voll ausbrechen würde, ehe ihre Mutter zurückkehrte. Ich schaukelte sie ein bisschen, was sie fürs Erste zu beruhigen schien.
    Damit war mein enormer Schatz an Kinderpflegetricks auch schon erschöpft.
    Draußen auf der hölzernen Veranda ertönte männliches Getrampel. Neil zog die Hintertür auf, im Arm eine Einkaufstüte, die von Einmalwindeln ausgebeult war. Der Mann, der hinter ihm hereinkam, hatte zwei Sixpacks mit Flaschenbier dabei. Neil und ich begrüßten uns, ehe er sich zu seinem Bruder umwandte und uns miteinander bekannt machte. »Kinsey Millhone. Das ist mein Bruder Owen.«
    »Hi«, sagte ich. Das Baby auf meinen Armen machte ein Händeschütteln von vornherein unmöglich.
    Owen reagierte mit Phrasen der Sorte »Hallo, wie geht’s«, die er über die Schulter sprach, während er das Bier Dirks tüchtigen Händen übergab.
    Neil stellte die Tüte auf einen Küchenhocker und nahm das Paket mit den Einmalwindeln heraus. »Ich bringe die schnell hoch. Soll ich sie mitnehmen?«, sagte er mit einem Nicken zu Meg.
    »Es geht schon«, sagte ich, und erstaunlicherweise stimmte das sogar. Nachdem Neil gegangen war, spähte ich zu ihr hinunter und stellte fest, dass sie eingeschlafen war. »Oh, wow«, sagte ich und wagte kaum zu atmen. Ich hätte nicht zu sagen vermocht, ob das Ticken, das ich hörte, von meiner biologischen Uhr stammte oder vom Zeitzünder einer Bombe. Dirk mixte gerade eine Margarita für Owen, und das Eis klapperte im Shaker. Da Owen davon abgelenkt war, hatte ich Gelegenheit, ihn zu studieren. Im Vergleich zu seinem Bruder war er groß, über eins achtzig, während Neil näher bei meinen eins achtundsechzig lag. Owens Haare waren sandfarben und leicht mit Grau gesprenkelt. Er war sehr schlank, regelrecht leptosom, während Neil stämmig gebaut war. Blaue Augen, weiße Wimpern und eine gut proportionierte Nase. Er sah zu mir herüber, und ich senkte den Blick diskret zu Meg. Er trug Chinos und ein marineblaues kurzärmliges Hemd, das die zarte, flaumige Behaarung seiner Unterarme zur Geltung brachte. Er hatte schöne Zähne, und sein Lächeln wirkte aufrichtig. Auf einer Skala von eins bis zehn – wobei zehn Harrison Ford entspräche – würde ich ihm eine Acht geben oder vielleicht sogar eine Acht plus plus.
    Er trat an die Arbeitsfläche, an der ich stand, und nahm sich ein Kanapee. Wir plauderten über Belanglosigkeiten und tauschten die Art uninspirierter Fragen und Antworten aus, die zwischen Fremden üblich sind. Er erzählte mir, dass er aus New York zu Besuch sei, wo er als Architekt arbeitete und sowohl Wohn- wie auch Geschäftshäuser entwarf. Ich erzählte ihm, was ich beruflich machte und wie lange schon. Er gab mehr Interesse vor, als er wahrscheinlich hatte. Er erzählte mir, dass er und Neil noch drei Brüder hatten, wobei er der zweitjüngste war. Der größte Teil der Familie, so sagte er, lebe über die Ostküste verstreut, und Neil sei der einzige Außenposten in Kalifornien. Ich erzählte ihm, dass ich ein Einzelkind war, und beließ es dabei.
    Schließlich kamen Neil und Vera herunter. Sie nahm das Baby und setzte sich auf die Couch. Vera fummelte an ihrer Bluse herum, ließ eine Brust heraushüpfen und begann Meg zu stillen, während Owen und ich demonstrativ in die andere Richtung sahen. Irgendwann trudelten mehrere andere Paare ein. Jedes Mal wurden alle einander vorgestellt und die Neuankömmlinge integriert. Die Küche füllte sich nach und nach mit Gästen, die in kleinen Gruppen beieinander standen, einige auch im Flur und auf der Veranda. Als der Babysitter kam, brachte Vera Meg nach oben und kehrte in einer frischen Bluse zurück. Der Geräuschpegel stieg. Owen und ich wurden durch die Menge getrennt, was mir ganz recht war, da mir sowieso nichts mehr einfiel, was ich zu ihm hätte sagen können.
    Ich bemühte mich darum, freundlich zu sein, und plauderte mit jeder armen Seele, die Blickkontakt mit mir aufnahm. Alle machten einen recht netten Eindruck, aber Menschenansammlungen sind für jemanden meines introvertierten Wesens generell anstrengend. Ich hielt durch, so lange ich konnte, und bewegte mich dann allmählich in Richtung Diele, wo ich meine Umhängetasche hatte stehen lassen. Die guten Sitten schrieben vor,

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