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Kiosk

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Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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gestern abend hier.« Kwiatkowski steht einfach da mit einer Filtertüte frischem Kaffee in der Hand und betrachtet sie. Engel vertragen kein Tageslicht, sie sieht nur noch blaß aus, ein bißchen verkniffen.
    »Dann kommen Sie mal rein.« Er dreht den Schlüssel und öffnet die Tür, der Hund ist als erster drin und beschnüffelt die Staubmäuse vor den Kühlschränken.
    Karla stolpert über das Kabel der Kaffeemaschine, der Steinboden hat Löcher und ist schmutzig grau. So bescheiden hat sie sich das nicht vorgestellt. Die bunten Zeitungen, die Eisfahne, die blendend weißen Papierkörbe und die Cola-Werbung draußen täuschen über das triste Innenleben hinweg. Das mannshohe Zigarettenregal, die lange Leiste mit den Bonbongläsern sind mit braunem Plastikfurnier bezogen. Bis unter die Decke ziehen sich billige Winkelregale gefüllt mit Erbseneintöpfen, Würstchengläsern, Nudelpaketen, Toilettenpapier, Leberwurst in Gläsern, Tampons, Batterien, Haarshampoo. Überall kleben Sticker, die für längst verschwundene Eissorten, Tabakmarken oder Chupa-Chups-Lutscher – »Leck mich« – werben. Vorsichtig zwängt sie sich an dem Tischchen neben der Tür vorbei, auf dem zwei zischende Kaffeemaschinen stehen.
    »Wollen Sie einen?« fragt Kwiatkowski und hält die Filtertüte hoch. »Ich mach gerade frischen.«
    Karla nickt und setzt sich auf zwei umgedrehte Bierkisten, die übereinandergestapelt und mit einem kratzigen Frotteetuch bedeckt, Lenchens übliches Sitzmöbel neben der Eistruhe bilden. Zu bequem will sie es sich vor den Augen der Kunden nicht machen. Das konnte nur der Jakob sich leisten, der im Sommer manchmal im Campingstuhl vor der Tür gesessen hat, »um die Parade abzunehmen«, wie er das nannte.
    »Wie sieht’s aus?« Kwiatkowski beginnt das Gespräch unverbindlich vage, wie er es sich im Kiosk angewöhnt hat. Karla hört nicht hin, sie ist mit den Schaumzuckerbeeren auf der Eistruhe beschäftigt, fährt mit den Fingern über die von Zuckerkrümeln rauhe Oberfläche. Wie Sandpapier fühlt sich das an, und was für ein heimtückischer Geruch. Sie hält sich die Plastikdose unter die Nase und atmet tief ein. Das künstliche Aroma gehört zu ihren Kindersommern, die so heiß und lang waren, wie sie es später nie mehr werden. In ihrem Rücken glaubt sie den rauhen, sonnenwarmen Putz eines Hauses zu spüren, da steht sie wieder als Kind, reibt sich den Rücken daran und läßt eine von diesen Erdbeeren ganz langsam zwischen Gaumen und Zunge zergehen, bis nur noch ein süßer Schaum übrig ist. Dazu paßte ausgezeichnet der salzige Geschmack von Lakritz. Das war mit der beste Geschmack, den ihre Kindheit zu bieten hatte.
    Kwiatkowski sieht, daß sie träumt. Wirklich schön ihre Schläfenbeine, das Blut fließt blau darunter in einer haarfeinen Vene. Dann macht die Stille ihn unruhig. »Nehmen Sie ruhig eine. Essen und Trinken ist während der Arbeit frei. Zigaretten und Alkohol ausgenommen.«
    Karla schreckt hoch, zieht die Hand aus der Plastikdose, reibt sie sauber. »Und was zahlen Sie so?«
    »Das müssen Sie Lena fragen. Ihr gehört der Laden, ich helf nur manchmal.«
    »Was kriegen Sie denn dafür?«
    »Ich mach das umsonst.« Karla fragt zu seinem Ärger nicht weiter nach, sondern studiert das Zigarettenregal. Sie weiß, daß sie damit die meisten Schwierigkeiten haben wird, weil sie Nichtraucherin ist.
    »Sie, Fräulein«, sagt eine alte Frau vor dem Fenster. Kwiatkowski wundert sich, was die Quittländer nach einem Jahr Boykott wieder hier will. Karla geht zum Fenster.
    »Das war sehr freundlich von Ihnen, eben«, sagt die Quittländer und lächelt kurz. Kwiatkowski kommt aus dem Staunen nicht mehr raus.
    »Ach, nicht der Rede wert.«
    »Jedenfalls habe ich das Spülmittel bekommen, zwei Flaschen zu 1,99. Genau wie es in der Reklame stand. Von wegen nur solange der Vorrat reicht. Das kann doch kein Mensch lesen, wie das gedruckt ist.« Sie nestelt umständlich den Zettel aus ihrer Manteltasche, legt ihn auf die Zeitungen, streicht ihn glatt. Dann holt sie ein Brillenetui heraus, zieht Lesegläser hervor, setzt sie auf, schürzt die Lippen und fährt mit den Augen über das Papier.
    »Sehen Sie, da steht der Preis.«
    Sie tippt mit einem krummen Finger auf die schwungvoll eingekreiste Zahl. »1,99. Und ganz unten das Fliegengeschiß von wegen Vorrat. Na ja, danke, daß Sie denen Bescheid gesagt haben.«
    Rose Quittländer steckt den Zettel wieder ein, mustert Karla mit Vogelblick über den Rand

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