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Kiosk

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Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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träumt, denkt Lena zwei Tage später immer noch. Das ist schlimmer als Alkohol, der kann einen nur umbringen, mit Träumen muß man weiterleben. Wohnung am Waldrand. Das kommt davon, wenn man träumt. Der Satz ist eine Art Mantra für sie und hat betäubende Wirkung. Mit Karla redet sie nur das Nötigste, wenn die zur Nachmittagsschicht kommt. Karla führt Lenchens Wortkargheit darauf zurück, daß sie Sonntagnacht die Cola-Reklame über dem Fenster hat brennen lassen, wegen Jochen.
    »Wissen Sie, was mich so eine Festbeleuchtung an Strom kostet?« hat Lena gestern nur gefragt und sich wieder in die Remittendenliste vertieft. »Fünf FAZ, zehn BAMS, vierzehn Stadtanzeiger retour. Kein Wunder, war nix los am Wochenende.« Pause, Zug Zigarette, Striche machen. Sie ist im hermetischen Selbstgespräch geübt, so hält man sich lästige Kunden vom Leib. Und wenn gar nichts hilft, bleibt die Zigarettenbestellung bei Tobaccoland. Da darf ihr keiner zwischenreden, weil der Anrufbeantworter läuft und man keine langen Sprechpausen machen darf.
    »Zweimal die einundachtzig, dreimal die 512, einmal 624, fünf mal Blättchen à hundert. Zweihundert Bic-Feuerzeuge, gemischte Farbe, fünfzig Telefonkarten zu zwölf.« Und zum Schluß ihr Standardscherz: »Das waren die Lottozahlen.«
    Der Antiquar hat ihr von einem offenen Gespräch mit Jakobs Tochter abgeraten. »Wir müssen erst mal abwarten.« Er glaubt noch immer nicht, daß Karla gierig oder verlogen ist. Und außerdem: »Der Kwiatkowski hat eine Idee wegen Krahwinkel.« Hoffentlich hat die nichts mit Kunst zu tun.
    Heute abend wollen sie sich treffen. »Beim Fährmann«, da hört keiner hin, was man sich so zu erzählen hat, und der Kiosk ist Welten entfernt. Die Quittländer kommt auch. Ausgerechnet, denkt Lenchen. Aus der Traum vom Wald. Den Krahwinkel muß sie hinhalten, obwohl der endlich seinen Bagger bekommen hat und drängt. Ein, zwei Wochen, dann ist das Grundstück ausgeschachtet. Spätestens Ostern. Hängt vom Wetter ab. Die Vorhersage ist freundlich. »Sie müssen heute allein dichtmachen. Ich hab noch was vor«, sagt sie zu Karla, die eben ihre Tasche auf der Eistruhe abstellt und ihr einen Strauß gelbe Tulpen hinhält.
    »Danke«, sagt Lenchen und legt sie achtlos beiseite. Hat nie gern was geschenkt bekommen.
    »Verabredung?« fragt Karla freundlich interessiert.
    »Ja.«
    »Hoffentlich jemand Nettes. Gehen Sie essen?«
    »Nicht, was Sie denken«, sagt Lenchen schroff. »Vergessen Sie nicht die Außenbeleuchtung, und das Wechselgeld stellen Sie bitte in den zweiten Kühlschrank, die Scheine in einem Pappbecher in die Eistruhe. Bestellungen habe ich gerade gemacht. Bis später.« Auch nur eine Formel. »Bis später«, sagt Lenchen immer, selbst wenn sich einer der Kunden in eine dreiwöchige Ferienreise verabschiedet. »Bis später« oder »man sieht sich«.
    Karla zuckt mit den Achseln, als Lenchen verschwunden ist. Die Tulpen hängen mit den Köpfen über der Eistruhe. Karla füllt eine leere Kaffeedose mit Wasser und stellt sie hinein. Das Lenchen läßt sich auffressen von den Sorgen. »Immer tapfer weiter machen«, hält die Stimme ihrer Mutter dagegen. Karla stimmt ihr ausnahmsweise zu. Die Baustelle vom Krahwinkel ist doch das große Los.
    Nikita steht vor der Tür. Karla läßt sie rein. Das Mädchen kniet sich vor Filou hin und begrüßt ihn ausführlich, dann sagt es: »Tag.«
    »Kannst gleich mit ihm gehen, war noch nicht richtig vor der Tür.« Nikita setzt den Scout-Tornister ab und macht keine Anstalten zu verschwinden. Sie hat lange nachgedacht und muß Karla was fragen. Nur wie? Am besten direkt. Karla hat das gern, wenn sie direkt ist, so war das von Anfang an, und es ist Nikita sehr recht.
    »Weißt du, wo die Toten genau sind? Ich meine unsere Väter.«
    Karla bedient gerade einen Zigarettenkunden. Sie dreht kurz den Kopf. Nikita hat sich auf die Bierkästen gestemmt und baumelt mit den Beinen, krachend schlagen ihre Füße gegen das rote Plastik.
    »Ach ja und einen Wrigleys grün noch«, sagt der Kunde vor dem Fenster.
    Karla nestelt das Aluminiumpäckchen aus dem Karton. »Macht zusammen sechszwanzig«, sagt sie fahrig.
    »Sechsdreißig«, korrigiert das Kind.
    »Wie?«
    »Sechsdreißig. Sie haben sich verrechnet, der Kaugummi kostet einszehn. Steht dran.« »Wieviel denn nun?« fragt der Kunde ärgerlich.
    »Verzeihung, die Kleine hat recht. Das macht zusammen sechsdreißig.« Sie gibt auf einen Zehner raus und weiß immer noch keine

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