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Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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Journalisten. »Da müssen wir hart dranbleiben, wissen Sie. Jede Minute zählt.« Und jede Geschichte. Sie darf sogar nachts bei ihm anrufen, wenn sich was Neues ergibt. »Hier, meine Karte, die Handynummer und privat. Rufen Sie nur mich an. Ich betreue das, also Sie.«
    »Und im schlimmsten Fall«, hat der Fotograf versprochen, »sind wir sofort bei Ihnen. Darauf können Sie sich verlassen.« Das Bild vom Zusammenbruch darf er in keinem Fall vergeigen, das erschüttert, und er kann es an sämtliche Illustrierte weiter verticken, zusammen mit den Wäschebildern der Mutter. Da sind ein paar Tausender drin. Bringt mehr als das anschließende Begräbnis des Kindes, da sind wieder alle dabei, und wenn die Opfer erst einmal unter der Erde sind, interessiert nur noch der Täter und dessen Kinderbilder.
    Lena kann sich am Nachmittag vor Kundschaft kaum retten. Sogar die aus den Festungshäusern trauen sich an die Theke.
    Nikitas Mutter hat sich in ihrer Wohnung eingeschlossen und legt pausenlos Elton John auf. »Nikita« natürlich und »Your song«, den mochte Pjotr besonders gern:
»It’s a little bit funny, this feeling inside
I’m not one of those, who can easily hide,
I don’t have much money, but boy if I did
I’d buy a big house where we both could live«.
    Ihre Nachbarn kaufen bei Lena Kaugummi – »Haben Sie auch ohne Zucker?« – oder eine Dose Cola mit Strohhalm und Becher, die sie sehr langsam trinken. Dafür erwarten sie erschöpfende Auskünfte und nerven die Bauarbeiter, die wegen der heißen Würstchen zu dreifünfzig mit Brötchen lange anstehen müssen.
    »Schrecklich, so was, haben Sie schon was Neues gehört?«
    »Wenn ich an den Fall vor zwei Wochen denke! Und die drei Mädchen da oben aus Ostfriesland. Der hat sie alle mißbraucht. Einer aus der Nachbarschaft. Die eine hat noch Stunden gelebt, als er sie in den Fluß geschmissen hat. Dann ist sie erst ertrunken.«
    »So ein nettes Kind, dem sollten sie die Eier abreißen.«
    »Wenn Sie mich fragen, ist das noch zu milde.«
    Lenchen versucht’s mit Diplomatie, muß aber aufgeben. »Warten wir erst mal ab, vielleicht geht alles gut aus.« Mehr kann sie nach einer Weile nicht mehr dazu sagen. »Warten wir mal ab.« Die Kunden lassen nicht locker.
    »Die Kleine war doch oft bei Ihnen, nicht?«
    »Könnte doch einer aus der Kundschaft sein.«
    »Ich will ja nichts sagen, aber gucken Sie sich die Leute hier doch mal an.«
    »Schrecklich für die Mutter. Hab eben geklingelt, macht einfach nicht auf.«
    »Als Nachbar will man doch helfen.«
    Der Journalist bekommt die Schlagzeile auf der Seite eins, überregional. Vorne überm Bruch, da, wo die Zeitung ihre Knickfalte hat. Nikitas Foto wird soweit vergrößert, wie das Raster vom Pixiebild zuläßt, daneben die Schlagzeile, rot unterlegt: »Mutter fleht ganz Köln um Hilfe: Findet meine Tochter!« Die Mutter schaut von der anderen Seite in die Zeile hinein. Vor ihrer Nase das Ausrufungszeichen.
    Ihr Mund ist wie zum Schrei geöffnet, ihre Augen sehen aus wie zertretene Kornblumen.
    Die blaue Mascara kommt in Farbe sehr gut. Findet der Fotograf. Besser als das Repro mit der dämlichen Zeichnung von der anderen Frau, die der Künstler ihnen gegeben hat, sieht ganz verwaschen aus.
    Überhaupt macht das die Geschichte nur schlechter. Was soll eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen, das keine reichen Eltern hat, schon anstellen? Dafür hat der sogenannte Verlobte der Mutter inzwischen die Düse gemacht. Diese Stiefväter sind doch immer die schlimmsten, und der im Knast tätowierte Arm, den der auf einem Foto wie im Würgegriff um den Hals der Mutter legt, sagt alles. Der Fotograf kennt sich aus und ist für die Mißbrauchthese, ganz klar, aber dieser Warmduscher von Jungjournalist hat keine Ahnung vom Geschäft.
    Was für ein Tag, denkt hingegen der heimlich Geschmähte und läßt ein letztes Mal seinen Aufmachertext über den Bildschirm gleiten. Schön formuliert, Gefühle gehen ihm leicht von der Hand. Dazu die auf Raster gelegten Info-Kästen: »Die Blutspur – Chronik der Kindermorde«. »Was der Psychologe sagt« und »Wie Sie Ihr Kind schützen«. Kommt alles gut. Jetzt muß er noch den lästigen Aufsetzer über den Leuchter und diesen Dings – was war das noch? – runterreißen. Eine Spalte mit Bild, kleiner Textfüller für die dritte Lokalseite, darunter stehen die Hochzeitsanzeigen, das Horoskop und Werbung für einen Reifengroßhandel: »Wetten? Darauf fahren Sie voll ab.«
    Der Fotograf

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