Kiosk
Protokolltonart. »Also, Frau...?« Nikitas Mutter buchstabiert ergeben ihren Namen und erzählt ihre Lebensgeschichte.
Kwiatkowski drängt sich grob an dem Journalisten vorbei. »Wir müssen die Polizei dazuholen, sofort.« Er geht in den Kiosk, ruft an.
»Das können Sie doch nicht«, protestiert die Mutter schwach. Vergeblich.
Und noch dazu völlig umsonst.
Der Mann hat ohnehin längst gepackt und sich aus dem Staub gemacht. Was geht ihn das verdammte Balg eines anderen Kerls an, und ein eigenes Baby will er auch nicht, er hat schließlich noch was vor mit seinem Leben. Am Barbarossaplatz findet er ein Taxi, das ihn aus der Gegend wegbringt. Kundschaft kann er auch woanders finden, am besten, er legt erst mal eine Pause ein, bißchen weiter weg.
Lena ist Kwiatkowski in den Kiosk gefolgt, draußen tröstet Rose mit heiserer Stimme die Mutter, der Antiquar raucht Kette und hält sich am Thorazeiger fest. Buddy wartet bei der Schubkarre geduldig auf die Brötchen. Der Dachdecker erfindet fleißig Anekdoten aus Nikitas Kindertagen, und wie »ich mit ihr Verstecken gespielt hab. Eckstein, Eckstein, alles muß versteckt sein, hinter mir da gilt es nicht, eins, zwei, drei ich komme. Kennen Sie das? Die konnte sich vielleicht verstecken, sag ich Ihnen. Schreiben Sie auch mit?«
Lena schaut Kwiatkowski im Kiosk ernst an, als er den Hörer aufgelegt hat. »Glauben Sie, Karla hat das Kind mitgenommen?«
»Wie kommen Sie denn darauf?« fragt Kwiatkowski verärgert zurück.
»Ich weiß nicht«, sagt Lena zögernd. Sie denkt an ein Gespräch mit Karla. Das Gespräch, in dem sie von Jakobs Liebe zu Nikita geschwärmt hat. Sie konnte damals doch nicht ahnen, wer Karla war. Und trotzdem, wie verletzend muß das für seine eigene Tochter gewesen sein, ist ja wohl viel sensibler, als man denkt. War der Jakob doch auch. Oder Karla wollte die Kleine von hier wegholen, hat ja ständig vom Jugendamt gefaselt und der schlechten Erziehung.
Kwiatkowski schaut immer noch fragend. Lena seufzt. »Ich weiß nicht, ist nur so ein Gefühl. Ich meine, ist doch komisch, daß beide weg sind, und irgendwie hat Karla etwas Unberechenbares, oder? Mehr Gefühl als Verstand, auch wenn’s anders aussieht.«
Kwiatkowski schweigt, er weiß, wie Karla aussieht, wenn man genau hinschaut. »Wir müssen sie finden«, sagt er.
»Wen?«
»Beide«, sagt Kwiatkowski.
Vor dem Büdchen hält ein Polizeiwagen, zwei Uniformierte steigen aus, rücken die olivfarbenen Hosen zurecht, seitlich an den Gürteln hängen Waffentasche und Handschellen. Der Fotograf grüßt kollegial. Nikitas Mutter wirft sich einem von ihnen fast in die Arme. »Sie müssen meine Tochter finden.« Der Fotograf verschießt seinen dritten Film.
Eine Stunde später laufen die ersten Radiosuchmeldungen, Streifenwagen fahren die Gegend ab, ein Hubschrauber zerschabt den gläsernen Aprilhimmel über dem Viertel. In den Bahnen werden die Fahrgäste per Lautsprecher um Mithilfe gebeten. Ein Fahrer erinnert sich an das kleine Mädchen von der Endhaltestelle. Polizeistreifen durchkämmen in Viererketten das Waldstück neben den Gleisen. Das einzige Vergehen, das sie dabei aufdecken, betrifft ein feuchtes Sofa und wilden Sperrmüll auf einer Lichtung.
Am Kiosk herrscht reges Treiben, nachdem die polizeiliche Suchmeldung über die Ticker gelaufen ist. Doch die Kollegen der anderen Zeitungen, sogar die vom Fernsehen kommen zu spät zum Kattenbug, um eigenes Material abzugreifen. Sie müssen sich mit den offiziellen Schwarzweißkopien vom Pixiebild aus Mutters Portemonnaie und den kargen, polizeilichen Verlautbarungen zufrieden geben und mit dem, was schlecht informierte Nachbarn an der Haustür vermuten.
»Kann man sich doch denken, was da passiert ist. Passiert doch ständig.« In den Festungshäusern werden bereitwillig Wohnungstüren geöffnet, Kamerateams heben Scheinwerfer durchs Treppenhaus, zerschrammen den milchgrauen Putz.
Nur Nikitas Mutter macht keinem auf. Sie hat einen Vertrag mit dem Boulevardblatt unterschrieben. Die kümmern sich jetzt exklusiv um ihre Geschichte. Dafür hat sie ihnen ein ganzes Album mit Nikitabildern gegeben. Nikita beim Schwimmen, im Zoo bei den Giraffen, Nikita als Karnevalsclown. Sie glaubt, daß alle Reporter der Zeitung ausschließlich nach Nikita suchen und alle ein Foto brauchen. Ihre eigenen Fotos, auch die für die Wäschekataloge, hat sie außerdem zur Verfügung gestellt.
Tausend Mark soll sie bekommen und jeden Tag Besuch von dem
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