Kiosk
hört den Polizeifunk, immer noch keine Neuigkeiten im Fall Nikita.
Um halb zehn wird angedruckt. Der erste Schub läuft über die Rotation, Umlandausgabe und die Exemplare für den Handverkauf in den Kneipen der Innenstadt. Die Zeile verkauft sich.
»Tun Se mal einen. Wieviel?«
»Siebzig Pfennig, Chef. Alles ganz frisch, Tinte ist noch nicht trocken.«
»Da, Rest ist für Sie.«
Die stummen Verkäufer, rote Kästen mit Münzschacht und Hebelfenster, werden vor den Werkstoren und an den Haltestellen bis zum Rand mit der Zeitung gefüllt. Nikitas Mutter schaut ab dreiundzwanzig Uhr die späten Passanten und Nachtschichtler flehend an, ihr Mädchen grinst gezwungen. Um halb zwölf wird die nächste Form gedruckt, unverändert und unnötigerweise, denn kurz vor Mitternacht ist Nikita wieder zu Hause.
Der Pfarrer in der schwarzen Soutane hat sie zum Kattenbug zurück gebracht. Den ganzen Nachmittag und den Abend hat er gebraucht, um Nikitas Namen und Adresse herauszubekommen. Sie hat ihm zunächst viel erzählt, und er hat aufmerksam zugehört. Das war mal was anderes als eine Beerdigung. Tätige Seelsorge hat die Kleine dringend nötig, sieht überall Gespenster. Er mußte nur versprechen, nicht die Polizei zu holen. Und ein Pfarrer muß seine Versprechen halten, bei einem Kind wie Nikita erst recht, auch wenn sie ein bißchen geflunkert hat, von wegen: »Meine Mama weiß Bescheid.«
Die Mutter hält ihr Versprechen auch und ruft bei der Zeitung an. Für Nachschub und Korrektur ist es zu spät, bedauert kurz angebunden der Nachtredakteur. Hoffentlich denken die an den versprochenen Tausender, überlegt die Mutter, dann bringt sie Nikita ins Bett.
»Und wo ist der Mann?« fragt das Mädchen, als die übliche Sache mit den Tränen und den Umarmungen und den Schwüren hinter ihr liegt.
»Der ist wohl weg«, sagt ihre Mutter.
Karla hat also recht gehabt. Man kann mit den Toten auf dem Friedhof reden, und es nützt sogar was. Der Pfarrer hatte davon überhaupt keine Ahnung.
16
D ie Zeitungsgeschichte hat trotzdem Folgen, denn der Pensionswirt aus der Eifel hat schließlich Augen im Kopf und liest die Zeitung jeden Tag. Ganz frisch, wenn sie um fünf angeliefert wird, zieht er eine aus dem Stapel, den er später zum Verkauf auf den Empfangsschalter legt. Neben den Postkartenständer mit den Perlen der Eifel –»Grüße aus Manderscheid« – und den Karton Wodkalikör »Kleiner Feigling«. Zuerst interessiert ihn am meisten die Mutter. Blonde Schlampe, typisch Gosse, hat bestimmt nicht richtig aufgepaßt. Und dann der Tätowierte.
Er muß sich die Hände waschen, weil die Druckerschwärze abfärbt, dann trinkt er Kaffee mit seiner Frau, bevor die Gäste zum Frühstück runterkommen. Sind nicht viele, der April war verregnet hier, nur eisernen Wanderern macht das nichts aus. Hoffentlich wird es ab Ostern besser. Ostern ist nächste Woche. Er legt sich hin, um drei Uhr rat er wieder Schicht, ein Kegelclub hat vier Tage gebucht, er stellt frischen Feigling hin, gerade reißt er den Karton auf, als die junge Frau mit dem Rucksack die Tür aufstößt. »Haben Sie ein Zimmer frei?«
Der Wirt lächelt freundlich. »Da läßt sich was machen. Für wie lange?« Die junge Frau scheint unentschlossen, sieht sich im Vorraum um, studiert die Wanderkarte und das Hirschgeweih. Der Pensionswirt studiert sie und hat ein komisches Gefühl dabei. Nach Wanderin sieht sie nicht aus. Als sie ihren Schlüssel entgegengenommen hat und über die dick gepolsterte Treppe verschwunden ist, wird ihm plötzlich sehr flau. Er greift sich die Zeitung, die unter der Theke liegt. Blättert die Autoanzeigen um, streicht die dritte Seite wieder glatt. Ihm zittern die Hände. Ausgerechnet. Ausgerechnet bei ihm, er schaut zur Treppe hin, greift zum Telefonhörer, ruft die Polizei.
Die Polizei ruft bei Kwiatkowski an. »Die junge Frau ist aufgetaucht, hatten eben einen Anruf aus der Eifel. Spielt zwar keine Rolle mehr, wo die Kleine wieder da ist, aber wir wollen trotzdem jemanden hinschicken. Wäre nett, wenn Sie mitkommen, Sie kennen die Dame ja, soll keinen Schreck bekommen.«
Zwei Stunden später biegen sie in einen Waldweg ein. Die Kripo hat zwei Zivile geschickt, im Fond sitzt Kwiatkowski und schweigt so düster wie die Fichten. Der Pensionswirt hat mit dem Kegelclub und den Vorbereitungen zum Abendessen zu tun. Er unterbricht sich in seiner Arbeit, ist froh, daß die Männer Zivil tragen, und bittet sie ins Kabuff hinter dem
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