Kiosk
Empfang.
»Ich hab sie gleich erkannt. Also so was. Ausgerechnet bei mir. Ist die ganzen Jahre nicht vorgekommen, so was. Das Mädchen hat sie aber nicht mehr dabei.«
»Das Mädchen ist bereits wieder aufgetaucht«, sagt einer der Zivilen ruhig.
»Wenn Sie die Frau verhaften, könnten Sie dann die Feuertreppe nehmen? Muß ja nicht jeder mitkriegen. Habe gerade einen Kegelclub da, die haben ja ihr Recht auf Ruhe. Dafür sind wir hier bekannt.«
»Wir wollen nur mit der Frau reden, ist nichts Ernstes, keine Panik.«
»Dann bring ich Sie mal hin.«
»Nicht nötig, sagen Sie uns nur die Zimmernummer. Das hier«, er deutet mit dem Daumen hinter sich auf Kwiatkowski, »ist ein Freund der jungen Frau.« Der Wirt schaut den gelockten Mann mit dem breiten Kreuz mißtrauisch an, ist nicht der Tätowierte, sein Fall ist er trotzdem nicht, guckt so grimmig, und seine Hose ist auch nicht das, was man sauber nennt. »Zimmer 212, zweiter Stock, direkt unterm Dach. Ist die ganze Zeit nicht unten gewesen.« Als er das sagt, bekommt er selber einen Schreck und muß sich setzen. »Meine Güte. Kann da etwa was passiert sein?«
Kwiatkowski hat es jetzt eilig, vor den Zivilen ist er die Treppe rauf, seine Schritte sind so hart, daß sie sogar durch das Polster zu hören sind. Am Empfang wird nach dem Wirt verlangt, der Kegelclub will »Kümmerling«, »Kleiner Feigling« ist nur was für die Damen, die sich auf ihren Zimmern eben frisch machen.
Kwiatkowski hält vor der Tür kurz inne. 212, und nichts ist zu hören. Die Zivilen treten vor und klopfen leise. »Frau Hilger?« Keine Reaktion. Kwiatkowski klopft lauter an.
»Karla.«
Pause.
»Bitte, mach auf. Wir müssen reden. Ich war ein Idiot.« Die Zivilen werfen sich vielsagende Blicke zu. Eine Liebesarie also. Fragt sich nur mit welchem Ausgang, hinter der Tür ist kein Ton zu hören.
17
D ie Kollegen der anderen Zeitungen sind im nachhinein froh über den von der Konkurrenz erzeugten Mangel an Fotomaterial, weshalb sie die Nachricht nur klein gespielt haben. Ein Segen! Das Boulevardblatt steht schön blöd da mit seinen zwei Sonderseiten flehende Mutter, düsteren Vorahnungen, Kriminalstatistiken, niedlichen Nikitabildern und keiner Zeile über die ganz und gar unspektakuläre Auflösung. Abgehauen, wen interessiert so was, die Kleine hat ja nicht mal groß was angestellt, gibt ’ne Meldung, das war’s.
Die Abonnementszeitungen interessiert dafür die versteckte Notiz über den Thorazeiger vom Kattenbug. Sie drehen die Geschichte für den nächsten Tag aufwendiger nach, Interviews mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde werden geführt, das historische Archiv um Informationen gebeten. Dem Novemberjuden Korinthenberg wird eine eigene Geschichte gewidmet. Es findet sich in dem Band »Köln wie es mal war« sogar ein altes Bild von seinem Glas- und Kerzenladen. »Feinstes Chinaporzellan – Bleikristall aus Böhmen« steht unter dem heiter geschnörkelten Firmenschriftzug Korinthenberg. Eine braun verblichene wilhelminische Idylle mit schmiedeumzäunter Kastanie und stolzem Geschäftsmann in Weste vor der Ladentür. Es ist Korinthenberg senior mit Kaiser-Bart. Das war noch vor dem ersten Krieg.
Der Krahwinkelprozeß wird in einer Zeitung noch einmal kurz nacherzählt, die üblich betroffenen Kommentare werden verfaßt, dezent wird auf ähnliche Fälle von Arisierung verwiesen. In Zahlen, nicht in Namen, denn es sind einige gute Anzeigenkunden darunter, Textilhäuser, deren Besitzer ihr Geschäft auch erst nach 1933 übernommen und in den Achtzigern ihr fünfzigstes Firmenjubiläum mit Sonderseiten gefeiert haben.
Den alten Krahwinkel bekommt allerdings keiner an die Leitung, der junge sagt nur »Keine Zeit«. Das Thema wird die Leserbriefspalte noch eine Weile beleben, eine Gedenktafel wird gefordert oder ein Schlußstrich unter die Vergangenheit, eine genaue Erforschung jüdischer Schicksale in Köln eingeklagt oder auf die erschöpfende Darstellung des Themas hingewiesen.
Ein Foto, das die Übergabe der Kultgegenstände an die Jüdische Gemeinde durch einen Vertreter des Rates zeigt, wird die Diskussion beschließen. Solange macht der Bagger noch einen Bogen um die Nische am hinteren Ende des Grundstücks, als handele es sich dabei um einen heiligen Ort. Ein rotweißes Plastikband ist darum gezogen, davor wird am vierten Tag das Foto von der Übergabe des Thorazeigers gemacht, und der Ratsherr gibt Versprechungen bezüglich der Gedenktafel ab. Der junge Krahwinkel
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