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Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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ist ihr einfach so in den Sinn gekommen. In letzter Zeit denkt sie wieder viel über sie nach. Sogar über Dinge, die schon ganz verblaßt waren. Manchmal ist das richtig unangenehm. Vor allem die Sache mit dem Korinthenberg geht ihr plötzlich nach, lauter Kleinigkeiten.
    Frühjahr 1939, kurz vor seiner Rückkehr von Dachau, muß es gewesen sein. Etwa um die gleiche Zeit wie jetzt, kurz vor Ostern. Rose trägt die Kluft vom Arbeitsdienst und ist gerade vom Saat- und Pflugeinsatz im Sauerland zurück. Was für eine Kameradschaft, da hat nur die aufrichtige, ehrliche Gesinnung gezählt, nicht, wo man herkam und wer die Eltern waren. Nette Gemeinschaft, immerzu haben sie gesungen, selbst bei der härtesten Arbeit und bei Regen.
»Von allen blauen Hügeln
reitet der Tag ins Land
Er reitet mit wehenden Zügen
Er reitet mit weiter Hand.«
    Was ist schlecht an dem Text? Nichts ist schlecht daran. Das war eine schöne Zeit für sie, und mit den anderen Arbeitsmaiden ist sie gut parat gekommen, hat doch nichts mit Hitler zu tun gehabt. Da steht die Rose jetzt noch zu. Wenn sie kurz aus ihren Erinnerungen auftaucht, nickt sie an dieser Stelle rebellisch. Wer das nicht miterlebt hat, kann da nicht mitreden.
    Und weil alles so schön war beim Arbeitsdienst, hat sie die Uniform auch am freien Wochenende getragen, um dem Adelchen eins auszuwischen, die gerade die Kriemhild für die Laienspielschar studierte, dumme, kleine Pute. Kopf kleiner als sie, aber ein Schandmaul.
    Einmal sind sie zusammen zum Gemüsehändler, der Laden war voll, es gab ausnahmsweise eine Extrazuteilung frischen Kopfsalat. Brav haben sie angestanden – was tat man nicht für Deutschland, die Lebensmittelkarten waren längst eingeführt, da stand noch ganz verdruckst diese alte Frau vor ihnen, dünner Rücken, der Mantel ein wenig verschossen, aber ein teures Stück. Die Mutter vom Korinthenberg. Hat sie auf den ersten Blick gar nicht erkannt. Adelchen hat einen Flunsch gezogen, gewartet haben sie trotzdem, daß die endlich bestellt.
    Die Ladeninhaberin fragt die beiden Mädchen nach ihren Wünschen. Rose deutet auf die alte Korinthenberg, die so mager und grau in ihrem Mantel steckt: »Die ist zuerst dran.«
    Da hat die Ladeninhaberin nur abgewinkt und auf ihr neues Schild gezeigt: »Juden werden nicht bedient«. Andere haben das Schild schon lange im Fenster, und inzwischen hat der Eierfranz sie auch überzeugt. Man muß mit der Zeit gehen, erst recht als Ladenbesitzer.
    Rose hat sich zu dem Mütterchen umgedreht, da ist die Korinthenberg schon durch die Tür. Adelchen hat nur genickt und gesagt: »Jetzt geht’s zur Sache.« Mehr war da nicht, aber Rose hat sich trotzdem geschämt. Wirklich. Was danach kam, bekommt sie nicht mehr ganz zusammen.
    Jedenfalls ist die alte Korinthenberg nicht mit dem Sohn ausgewandert. Das ist klar. Amerika war ihr zu weit und zu fremd. Köln war ihre Heimat, was anderes hat sie doch gar nicht gekannt. Ab vierzig trug sie dann Judenstern. Und irgendwann war sie weg. Da hat man nicht so drauf geachtet, weil ja schon Krieg war und seit Mai die ersten Luftangriffe von den Engländern.
    Kurz danach ist Rose zur Flak gekommen, in den Beethovenpark. Junge war das ein Feuerwerk, die Scheinwerfer formten sich zu Lichtdomen, wie die beim Reichsparteitag in Nürnberg. Die Kölner haben sich noch auf den Balkon gestellt und zugeschaut. Das Blitzen der Granaten, die roten Ketten der leichten Abwehrraketen, das Mündungsfeuer der schweren Flak, und die Bomben pladderten wie riesige, schwarze Kaninchenköttel. War schon ein Schauspiel. Aus allen Knopflöchern haben sie geschossen, aber der Tommy war zu clever, immer nur kurz unter die Wolkendecke, Sturzflug, dann wieder rauf. Schon aufregend.
    So aufregend, daß sie nicht mitbekommen hat, was mit der alten Korinthenberg noch geschehen ist. Das Übliche eben. In eines der Judenhäuser ist sie eingewiesen worden. In das am Hohenstaufenring. Da hat sie schon Sarah geheißen, nicht mehr Helga. Als einundvierzig die Gestapo gekommen ist, um nach Liste die nächste Fuhre zu verladen, ist sie nachts aus dem Fenster gesprungen. Mitten auf die Straße. War sofort tot. Hat nicht in der Zeitung gestanden, also kann Rose es nicht wirklich wissen. Ein bißchen schämt sie sich doch.
    Wenn die nur endlich wegen des Krahwinkels kämen. Das Lenchen wackelt in ihrer Entscheidung, das sieht sie ihr an. Ein Pech, daß die Karla verschwunden ist. Macht man nicht, einfach so, hätte der Jakob nicht

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