Kiosk
getan.
18
N ikita hat Ferien. Morgen ist Karfreitag. Sie geht zu Kwiatkowski. Seit sie auf dem Friedhof war, hat sie keine Angst mehr vor den Totenköpfen im Fenster. Außerdem hat sie Buddy gestern beim Brabbeln auf der Baustelle erwischt. Das mit dem Eckenflüsterer war also Quatsch. Oder der Pjotr hat ihn erlöst, das ist wahrscheinlicher. Keiner, den sie hier kennt, weiß eine Antwort auf so was. Sie würde auch niemanden fragen. Erst recht nicht den Pfarrer. Der wird ihr langsam lästig. Sie will in keine Bastelgruppe, und wenn sie nach den Heiligen fragt, dem Sankt Pantaleon etwa, behauptet er: »Das ist nichts für Kinder.«
Karla weiß besser Bescheid, deshalb hat Nikita einen Brief geschrieben. Kwiatkowski kennt die Adresse, der muß ihn abschicken. Sie klingelt zweimal. Der Künstler macht nicht auf, aber sie weiß, daß er da ist. Deshalb klingelt sie noch dreimal. Oben geht das Fenster auf, Kwiatkowski schaut raus. »Ach, du bist es, komm rauf.«
Wenig später summt die Tür, Nikita drückt, Filou jagt die Treppe rauf, das kann er schon gut. Oben steht Kwiatkowski.
»Sie müssen einen Brief an Karla schicken«, sagt Nikita.
»Ich glaube nicht, daß sie einen Brief von mir lesen will.«
»Aber von mir.« Nikita geht an ihm vorbei ins Atelier. Der Tote auf dem Sofa sieht sogar ganz lustig aus. »Darf ich mal anfassen?«
»Von mir aus. Willste eine Cola?«
»Nee«, sagt Nikita streng. »Cola macht dumm, sagt Mama.«
Die muß es wissen, denkt Kwiatkowski und verabscheut sich selbst, weil er solche Sachen denkt. Kleinkarierte Scheiße. Daran ist Karla schuld.
»Also, was ist das für ein Brief, den du schreiben willst?« Nikita zählt beim Toten die Rippen ab, die sind aber nicht echt, sondern aus Draht und Gips. In Wirklichkeit liegt dahinter die Seele, sie hat mal versucht, das zu malen, aber die Seele hat sie nicht hinbekommen, obwohl sie ganz helles Beige genommen hat, sah trotzdem zu dick aus, ein bißchen wie Schmalzgebäck.
»Ich habe den Brief schon geschrieben«, sagt sie, ohne sich umzudrehen. Filou kaut hingebungsvoll Teppichfransen.
»Kann ich den Brief mal lesen?« fragt Kwiatkowski.
Nikita denkt kurz nach, dann zieht sie einen dreimal gefalteten Bogen Kästchenpapier aus der Jeanstasche, zieht es auseinander und reicht es ihm. Jeder Buchstabe hat seine eigenen Farbe. A ist gelb, K blau, F hellbraun, die Ds sind rot und so weiter. Das macht Arbeit, da schreibt man keine langen Briefe.
»Liebe Karla,
Sie müssen sofort kommen, weil Fillu kotzt. Der Hund ist krank, sonst stirbt er. Ich hab Angst. Liebe Grüße Nikita«
»Stimmt das?« fragt Kwiatkowski verdutzt. Nikita sagt nichts, der ist ja doof.
Kwiatkowski muß grinsen. »Ich such mal einen Umschlag.«
»Haben Sie eine Mark zehn? Dann kann ich beim Kiosk eine Briefmarke kaufen.«
»Klar.« Er gibt ihr einen Fünfer.
Nikita läuft los, an der Tür dreht sie sich noch mal um.
»Aber nichts dranschreiben!« Der bringt nur die Buchstabenfarben durcheinander.
»Würd ich nie machen, der Brief ist perfekt.«
Der Brief kommt Samstag in der Pension an. Karla erhält ihn beim Frühstück und muß sich beherrschen, um dem Pensionswirt keine runterzuhauen. Sein Kassiererblick und die schlecht unterdrückten Vorwürfe in seinen Mundwinkeln trösten über den bitteren Kaffee nicht gerade hinweg. Sie kommt sich zunehmend albern vor zwischen den häßlichen Möbeln und den häßlichen Gästen, die ihre abgepellten Eierschalen und Marmeladenschälchen tatsächlich in die kleinen Plastikeimer mit der Deppenaufschrift »Tischabfälle« entsorgen. Über ihrem Kopf baumelt eine Lampe aus dicktranigem Glas und mit Kupferkrone. Wie kommt sie darauf, daß sie hier hingehört?
Sie dreht den Umschlag um, kein Absender. Das hat er sich wohl nicht getraut. Kann bestimmt keine Liebesbriefe schreiben. Soll er auch gar nicht.
Zögernd reißt sie den Umschlag auf, das gekniffte Kästchenpapier fällt heraus. So falten nur Kinder Papier. Geheimbotschaften und Pfuschzettel. Nikitas Brief ist eine Mischung aus beidem. Karla schiebt den Kaffee weg, dann geht sie spazieren, obwohl ihr die Bäume auf die Nerven gehen. Zu grün.
Nicht mal den umzäunten Ameisenhaufen würdigt sie eines Blickes, dabei hat sie schon als Kind gerne Käfer im Gras angeschaut. Mühselige Expeditionen zum Löwenzahn, Mord und Totschlag zwischen Schafgarbe und Butterblumen, Leben in überschaubarer Größe eben. Stunden konnten darüber vergehen. So wohl wie im Gras hat sie sich
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