Kirchweihmord
wurde er an der Bushaltestelle bei der Waterloo Bridge von hinten mit einem präparierten Regenschirm in die Wade gestochen. Dabei geriet genau so eine Kugel in sein Bein, wie wir sie bei Malesanto gefunden haben.«
»Ach du Schande«, sagte Katinka. Sie kam sich bescheuert vor, weil sie nicht im Stande war, ihre Reaktionen zu beschleunigen. Wie paralysiert nahm sie die Brille ab und rieb sich die Augen. »Womöglich läuft ein Ex-KGBler da draußen herum und übt seine alte Technik, um sie wieder auf Vordermann zu bringen.«
»Verstehen Sie jetzt, Palfy, warum das eine Nummer zu groß für Sie ist?«
»O.k.«, sagte Katinka tonlos. »O.k.«
»Die Sandkirchweih verlangt uns ohnehin einiges ab. Und mit dem Ricin im Nacken …« Er schwieg einen Augenblick und sah Katinka direkt an. Alle Freundlichkeit war aus seinen grauen Augen gewichen.
»Die Öffentlichkeit darf nicht den Hauch einer Ahnung haben, was vor sich gegangen ist. Die Aufregung ist bei Morden immer gewaltig, aber wenn ein biologischer Kampfstoff beteiligt ist, garantiere ich für nichts mehr.«
Katinka setzte die Brille wieder auf und starrte Uttenreuther an.
»Ich möchte nicht, dass Ihre Journalistenfreundin davon Wind kriegt, ist das klar?«
»Sowieso. Aber Claudia Herzing …«
»Wenn Herzing sich mit Malesanto am fraglichen Abend getroffen hat«, sagte Uttenreuther, »dann weiß sie eventuell etwas, und das ist unsere und ausschließlich unsere Sache. Bringen Sie das Ihrem Klienten bei. Wir kümmern uns um ihn.«
»Die Info, dass Claudia und Antonella verabredet waren, haben Sie mir zu verdanken«, murmelte Katinka. »Sie können mich nicht einfach so rauskicken!«
»Diese Auskunft sind Sie mir schuldig gewesen, Palfy. Und machen Sie nicht noch einmal den Fehler, ein Mailkonto auf den Namen eines anderen anzulegen.«
Katinka schwieg.
»Moldrup hat uns erzählt, dass es Malesanto am Sonntagabend schlecht ging«, fuhr Uttenreuther fort. Es tat ihm offenbar Leid, Katinka vor vollendete Tatsachen zu stellen. »Das beweist, dass ihr das Ricinkügelchen an jenem Abend verpasst worden ist. Typisch für eine Ricinvergiftung ist auch, dass die Opfer nicht sofort sterben, eben je nach Menge des Giftes. Die Symptome können teils wieder verschwinden und dann plötzlich erneut und tödlich hervorbrechen.«
»Wie … wie stirbt man?«, fragte Katinka. Es kam ihr vor, als echote ihre Stimme aus allen Ecken des Büros zurück.
»Atemlähmung und Herzstillstand.«
Katinka bemühte sich, all diese Nachrichten zu verdauen.
»Auch uns erzählen die Zeugen etwas«, fuhr Uttenreuther fort. »Zum Beispiel Fiona Waltman. Sie und Malesanto gingen am Dienstag gegen Mitternacht gemeinsam durch die Sandstraße und trennten sich da. Wir nehmen an, dass Antonella von der Unteren Rathausbrücke gestürzt oder am Kranen in den Fluss gefallen ist. Bisher hat sich niemand gefunden, der etwas beobachtet hat, aber morgen wird in der Zeitung ein Aufruf stehen, dass …«
Katinka sah auf die Uhr. Es war halb vier.
»O Gott.«
Harduin brach verdutzt ab.
»Was haben Sie denn!«
»Meine Schwester kommt in zwei Minuten am Bahnhof an. O Gott.«
Katinka sprang auf, packte ihren Rucksack und sagte: »Bitte, es tut mir Leid, besonders die Sache mit dem E-Mail-Konto. Lassen Sie mich wenigstens nach Claudia Herzing suchen. Es kann Ihnen doch nur nützen. Was ich herausfinde, gebe ich Ihnen weiter, großes Indianerehrenwort.«
Uttenreuther richtete sich zu voller Größe auf: »Nein, Frau Palfy.«
Katinka schwieg. Dann sagte sie brüsk: »Gut. Tschüss dann.«
Sie rannte den Flur entlang und stürmte die Treppen hinunter und aus dem Gebäude. Verblüffte Blicke folgten ihr, als sie sich aufs Rad schwang und davonraste.
8. Stilbruch
»Verdammt, verdammt, verdammt«, stieß Katinka bei jedem Tritt in die Pedale zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Als hielte jemand ihr Fahrrad am Gepäckträger fest, so kam es ihr vor, während sie die Pfisterbrücke hinaufkeuchte. Am meisten ärgerte sie, dass eine Spur Wahrheit in Harduin Uttenreuthers Worten lag, sogar aus Katinkas Sicht: Sie hatte viel zu wenig dafür getan, Claudia Herzing zu finden. Fasziniert von der toten Antonella Malesanto hatte sie ihre Aufmerksamkeit in eine ganz andere Richtung gelenkt. Statt Claudias Mann auszuquetschen wie eine Zitrone, um herauszufinden, ob er etwas von ihren erotischen Ausflügen ahnte, war sie auf den Spuren der Italienerin kleben geblieben. Und schließlich gab es
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