Kirchweihmord
Uttenreuther hatte sein Handy am Ohr. Eine Polizistin versuchte, die Freunde des Opfers zu beruhigen. Katinka heftete ihre Augen an Uttenreuthers Lippen. Im Kirchweihgetöse konnte sie nicht hören, was er sagte, aber sie bemerkte, dass er mit zwei verschiedenen Leuten telefonierte.
»Staatsanwalt«, sagte ein Polizist neben ihr. Dann schien er Katinka zu entdecken: »Junge Dame, bitte gehen Sie weiter.«
»Ich gehöre zu Harduin Uttenreuther«, sagte Katinka würdevoll. Der Beamte sah verunsichert aus. Uttenreuther war zu beschäftigt, um gefragt zu werden, aber Schröppel trat aus dem Hintergrund und nickte dem Mann zu: »Passt schon«, sagte er. Und zu Katinka gewandt: »Wieder einer.«
»Richtig«, sagte Katinka.
»Beim LKA gibt es eine Spezialabteilung für solche Fälle«, erläuterte Schröppel. »Terrorabwehr, biologische Kampfgifte, Katastrophenschutz, alles das gehört zu ihren Aufgaben. Da haben selbst meine Kollegen und Hardo kaum noch was zu melden.«
»Wen verständigen Sie jetzt noch?«, fragte Katinka atemlos. Sie wusste nicht, wann Schröppels Mitteilungsbereitschaft abebben würde.
»Den Dienst habenden Staatsanwalt und den Leiter des Gesundheitsamtes. Im übrigen sind die Herren vom LKA alles studierte Kriminalräte.« Er blinzelte.
Katinka verstand, was er damit sagen wollte. Eine nicht studierte Privatdetektivin sollte sich lieber aus dem Staub machen, bevor sie in den Gesichtskreis unangenehmer Investigatoren geriet.
Sie nickte. »Danke, Herr Schröppel.«
Vorsichtig schob sie sich vom Ort des Geschehens weg. Schon nach zwei Metern hatte die Menschenmenge sie verschluckt. Orientierungslos blickte sie auf die bunten Kirchweihwimpel. Dann packte sie mit sicherem Griff ihre kleine Basttasche und schaufelte sich entschlossen den Weg in Richtung Untere Rathausbrücke frei.
Für den Weg zu ihrer Detektei, den sie zu normalen Zeiten in weniger als fünf Minuten zurückgelegt hätte, brauchte sie über eine halbe Stunde. Erleichtert schloss sie die Tür auf. Ein Scherzbold hatte einen blassrosa Kaugummi auf ihr Schild geklebt. Angeekelt kratzte sie den Klumpen mit dem Schlüssel ab.
Drinnen sperrte sie wieder zu. Die Luft war unerträglich stickig. Katinka achtete kaum darauf. Sie sah nach dem Faxgerät, öffnete dann das Waffenschränkchen und nahm ihre Beretta heraus. Das einzig Ungünstige an den Sommerklamotten war die Tatsache, dass man darunter schlecht eine Waffe versteckten konnte. Sie suchte ein paar alte Zeitungen heraus, wickelte die Pistole hinein und legte die Munition extra hinzu. Als sie das dicke Päckchen auf ihrem Schreibtisch sah, fühlte sie sich besser. Dann ließ sie sich bei der Auskunft eine Nummer geben.
»Dagmar? Hier ist Katinka.«
»Katinka!« Die helle Stimme am anderen Ende klang mehr als erstaunt. »Katinka Palfy? Oder hast du inzwischen geheiratet?«
»Nein«, sagte Katinka und rang sich ein Lächeln ab. Sie bemühte einige Höflichkeiten, die ihr gegenüber einer Ex-Mitschülern nach zehn Jahren Pause angebracht schienen.
»Hast du eigentlich Chemie studiert, wie du es vorhattest?«, fragte sie schließlich.
»Habe ich. Inzwischen bin ich Doktor rer. nat. Wie findest du das?«
»Glückwunsch«, sagte Katinka eilig. »Dann kennst du dich sicher mit B- und C-Waffen aus, oder?«
Verblüfftes Schweigen.
»Rufst du mich deshalb an?«
»Ja«, antwortete Katinka. Die Sache war ihr peinlich. Dagmar Sperling und sie hatten gemeinsam für das Abitur gelernt. Sie war gut in Fächern, die Dagmar nicht mochte, und umgekehrt hatte Dagmar ein Faible für Naturwissenschaften. Aber das Ganze war zehn Jahre her. Seitdem hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Katinka wollte außerdem vermeiden, Dagmar zu verraten, wo sie wohnte. Uttenreuthers Wut über die Sache mit dem gefakten E-Mail-Konto steckte ihr noch in den Knochen. Er würde ihr den Kopf abreißen und in die Regnitz werfen, wenn er herausfinden würde, dass Katinka Bamberg als Ort eines Ricin-Verbrechens preisgegeben hatte.
»Genauer gesagt geht es um Ricin. Kannst du mir ein paar Infos geben, wie das Gift genau wirkt, wie man es nachweist, wie man es herstellt und wie man eine Vergiftung behandelt?«
»Na, du hast ja eine ganze Prüfung für mich zusammengestellt«, sagte Dagmar und lachte. »Also: Ricin ist ein gefährliches Gift. Es ist im Samen des Wunderbaumes enthalten, so nennt man den Ricinusstrauch. Der ist eine tropische Pflanze, wird vornehmlich zur Ölgewinnung angebaut, in Brasilien und
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