Kirchweihmord
bemerkte die Skepsis in ihren Worten.
»Nicht nötig. Sag mir nur, ob man ausgebildeter Chemiker sein muss, um das Zeug zu produzieren.«
»Ts«, machte Dagmar. »Meine Oma backt die besten Marmorkuchen, die du dir denken kannst, ohne je eine Bäckerlehre gemacht zu haben. Aber eine gewisse naturwissenschaftliche Praxis muss man schon haben und technologisches Verständis. Ich denke, in den einschlägigen Kreisen weiß man sich zu helfen. Weißt du, in der Chemie gibt es einen großen Unterschied zwischen den kleinen Mengen quasi für den Hausgebrauch und dem wirklich großes Stil. Denk an die Chemiebaukästen unserer Jugend.«
Katinka bedankte sich. Dagmar fragte nach dem Artikel, den sie schreiben würde, und wo er erschiene. Katinka roch ihren eigenen stechenden Schweißgeruch, während sie eine weitere Notlüge für Dagmar zusammenbastelte. Schnell verabschiedete sie sich und legte auf.
Ich kann die Akte Claudia Herzing schließen, dachte sie frustriert. Bei aller Fantasie und gutem Willen – sie war nicht imstande, einen Zusammenhang zwischen der verschwundenen Frau und dem Giftmörder herzustellen. Antonella Malesanto als Bindeglied musste Zufall sein. So was gab es. Claudia Herzing mit Reagenzglas in der Hand konnte sie sich ebenso wenig vorstellen wie Mila Düthorn oder einen von Claudias Lehrerkollegen.
Oder sollte sie sich doch an Dietram Zenk halten? Verfügte Uttenreuther über andere Informationen? Wer war der Tote von vorhin? Katinka hatte ihn nicht gekannt. Ob der Kommissar sie informieren würde? Schließlich hatte sie ihm eben ein Bier spendiert.
Die Dunkelheit drückte gegen die Glastür. Es war halb zwölf. Katinka erschrak. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie spät sie Dagmar Sperling mit ihren Fragen gelöchert hatte. Trotz der Hitze verspürte Katinka keine Lust, Tür und Fenster aufzumachen. Plötzlich schlich sich Angst ein. Sie selbst hatte sich bei der Suche nach Claudia schon so weit exponiert, dass der Mörder, wenn er denn überhaupt mit den Herzings zu tun hatte, sie vielleicht auf seine Abschussliste gesetzt hatte. Sie knipste das Licht aus. Augustnächte konnten schwarz sein.
Hoffentlich war Melissa schon zu Hause. Katinka wagte zu bezweifeln, dass sie etwas Nützliches erfahren hatte. Was auch – sie hatte sowieso nicht den Eindruck, dass Winfried mit Claudias Verschwinden zu tun hatte. Der Streit zwischen ihnen schien harmlos zu sein. Ich streite auch ständig mit Leuten, dachte Katinka, während sie den Kirchweihgeräuschen lauschte, die gedämpft zu ihr vordrangen. Aber ich haue deshalb nicht ab. Ich wäre sozusagen gar nicht mehr hier, wenn ich mich jedes Mal aus dem Staub machen würde.
Sie fasste sich ein Herz und wählte Uttenreuthers Handynummer. Das Display ihres Mobiltelefons glänzte stahlblau und tauchte das dunkle Büro in ein eigenartiges Licht. Wie von einem Schweißbrenner, dachte Katinka.
Der Anschluss des Kommissars war besetzt. Katinka überwand sich. Sie klemmte sich ihr Zeitungspäckchen unter den Arm, schloss die Tür auf, trat auf die stille Gasse und sperrte sorgsam wieder ab. Vom Regnitzufer wehten Lachen und Musik zu ihr. Wie würde ihre Welt am Montag aussehen, wenn das große Feiern endete? Wie viele Ricintote wären zu beklagen?
Ihr Handy klingelte. Katinka erschrak so heftig, dass sie beinahe ihre ordentlich verpackte Waffe fallengelassen hätte. Auf dem Sichtfeld blinkte Brittas Nummer.
Katinka wollte den grünen Knopf drücken. Sie hielt inne. Der Klingelton schrillte surreal durch die Nacht. Uttenreuthers Gesicht erschien wie der Vollmond vor ihr. Er würde sie eigenhändig umbringen, wenn sie irgendetwas verlauten ließe. Zuerst würde er sie foltern, dann ausmerzen. Sie wartete ab, bis das Klingeln endete. Mit Sicherheit sprach Britta auf die Mailbox. Was sollte Katinka ihr sagen? Dass sie geschlafen hätte? Kurz vor Mitternacht am Sandkirchweihfreitag? Das glaubte ihr Britta niemals. Keiner würde ihr das glauben.
Katinka ließ das Handy wieder in die Basttasche gleiten. Gehetzt lief sie zur Austraße hinauf und reihte sich dankbar in die Menschentrauben, die in verschiedene Richtungen trieben. Bis zum Schönleinsplatz herrschte Trubel wie zur besten Shopping-Zeit. In der Friedrichstraße wurde es ruhiger. Schließlich war Katinka die Einzige, die durch die Herzog-Max-Straße eilte. Sie fühlte sich unwohl. Nervös starrte sie auf das gelbe Haus am Eck. Kein Fenster war erleuchtet. Entweder schlief Melissa schon, oder sie war noch
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