Kirchwies
bei den einheimischen Bauern abgeschaut. Er war auf einer Seite von einem Lattenzaun eingefriedet, auf der anderen von einer Thujenhecke. Nicht zu groß, nicht zu klein. Die Fläche war sauber in Beete unterteilt, in denen der Chinese aus Rittersporn, Margeriten, Rosen und Lavendel eine duftende, leuchtende Blütenpracht hervorgezaubert hatte. In einer Ecke rankte eine weiße Clematis an einem Birnbaum empor. Die andere Hälfte der Fläche war von Gemüse und einem Kräutergärtlein besetzt.
Wang Ming selbst war dabei, einen wuchtigen violetten Rhododendronstrauch von verblühten Knospen zu säubern und eine blau blühende Hortensie mit Wasser aus einem lustig plätschernden Springbrunnen zu verwöhnen. Er steckte in Jeans, hatte ein kariertes Flanellhemd an und einen braunen Filzhut auf dem Kopf. Unwillkürlich kam Campari das Bild eines Reisbauern in den Sinn, der sein Feld bewirtschaftet.
Nebenan krähte der Hahn, und die Hühner gackerten, als Campari seine Fragen stellte.
Ja, er habe Thea gut gekannt, sagte Wang. Täglich sei sie mindestens zweimal in seinen Laden gekommen. Schon in der Früh zum Semmelholen sei sie da gewesen.
»Manchmal hat sie auch die Bildzeitung mitgenommen. Sie ist immer eine gute Kundin gewesen. Wenn auch nicht lange, wie sich jetzt herausstellt.«
Aha, sie brauchte den Bäcker also nicht. Campari hatte nicht gewusst, dass der Dorfkramer auch Brot führte.
»Und von wem haben Sie die Semmeln bezogen?«
Wang schob den Hut aus der Stirn und sah ihn erstaunt an. »Vom Bäcker, wo sonst?«, sagte er. Anscheinend konnte der Chinese inzwischen mühelos Sätze ohne den Buchstaben R produzieren.
Ein kleines Grinsen flog über das Gesicht des Ladenbesitzers. »Sie war sehr hübsch. Und Sie wissen ja, Herr Bürgermeister, sie kam in viele Häuser.«
»Wie meinen Sie das, Herr Wang?«
»Ihr Beruf war Physi… Physiotel… na, Sie wissen schon. Massagen und Gelenke verbiegen. Sie hat Hausbesuche gemacht.« Er legte den Kopf schief. »Ich habe schon davon gehört, dass Sie den Fall selbst übernehmen wollen. Deshalb habe ich Ihren Besuch erwartet, wenn auch nicht so schnell. Und Sie werden wissen wollen, wo ich von Sonntag auf Montag in der zweiten Nachthälfte gewesen bin? Oder?«
Pfiffiges Kerlchen, der Chinese. Campari konnte einen bewundernden Blick nicht unterdrücken. Er sagte nichts.
»Sie wissen natürlich, dass ich Theas Gartenfest beliefert habe. Als es zu Ende war, so gegen halb zwei, zwei, habe ich meine Sachen – die leeren Bierfässer, den Grill und so weiter – auf den Pferdewagen geladen und bin hierhergetuckelt. Und hier habe ich ausgeladen. So gegen halb fünf, fünf war ich damit fertig.« Er reckte den Hals, lupfte den Hut und schaute Campari erwartungsvoll an. »Genügt das?«
Campari hatte nicht vor, zu nicken. Zu viel war ihm in seinem Berufsleben widerfahren, als dass er bei einer Mordermittlung frühzeitig jemanden für unschuldig gehalten hätte. Und der Herr Wang – mit diesen reglosen Gesichtszügen …
Weitere Gedankengänge blieben ihm erspart. Sein Handy klingelte. Es war Fritzi. Bevor er ranging, griff er zur Schmalzlerdose und nahm eine tiefe Prise. Das würde seine Nerven beruhigen.
Wenn Fritzi anrief, dann bestimmt nicht, um ihm Fragen zu stellen.
Selten hatte Fritzi Gernot sich so unwohl gefühlt. Durch ein fremdes Haus zu kriechen und nach Dingen zu suchen, die einem nicht selbst gehörten. Freilich, sie kannte Theas Haus nicht erst seit dem Fest. Sie wusste um den leicht chaotischen Ordnungssinn ihrer Freundin. Doch dass sie in solch einem Durcheinander, ja Saustall lebte, war ihr vorher nie aufgefallen.
Nein, sie fühlte sich nicht wohl. Und ihre Nerven waren gespannt wie Klaviersaiten. Für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen.
Sie sitzt in einem kleinen Raum im Krankenhaus. Sie ist die junge Assistenzärztin und hat Bereitschaft. Es ist still und halbdunkel im Haus. Jeden Augenblick kann die Tür auffliegen, kann jemand hereinstürmen und ihr Gewalt antun. Niemand würde es merken. Kein Hilferuf würde in den leeren Gängen unter der Erde gehört werden.
Diese Angst, diese anhaltende Angst während ihrer Bereitschaftszeiten, ist es, die sie schließlich dazu bringt, sich einem Kampfsport zuzuwenden. Und so kommt sie von jener unaussprechlichen Sportart, an die sie sich kaum mehr erinnert, über Umwege zum Frauenboxen. Sie fühlt das feuchte, warme Blut, das ihr übers Kinn läuft. Sie trainiert viel und heftig. Die Sportart ist
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