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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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noch jung, sie boxt sich durch. Auf dem Weg nach oben gibt es weniger und weniger Konkurrentinnen, die ihr gewachsen sind. Das Training ist kaum je vor Mitternacht vorbei. Und dann kommt der Nachhauseweg.
    Die belebten Hauptstraßen in der Großstadt sind okay. Doch zu der Wohnung, die sie damals gemietet hatte, führt ihr Gang nur durch dunkle, einsame Gassen über Kopfsteinpflaster. Da ist sie wieder, die Angst. Kein Kampfsport, kein Boxen kann sie davor bewahren. Sie hat einfach Angst, selbst im Laufschritt.
    Einmal war sie von einem Hund angefallen worden. Er hatte wohl etwas gegen ihr Laufen. Es war ein Chow-Chow. In Panik hatte sie ihn, bevor er sie packte, an den haarigen Seiten ergriffen, wie eine Hammerwerferin herumgewirbelt und losgelassen. Er krachte mit dem Rücken gegen den Pfosten einer Bogenlampe. Es knackte, der Körper wickelte sich verkehrt herum um die Stange und rutschte herunter. Der Hund war sofort tot gewesen.
    Daran musste Fritzi denken, als sie konzentriert durch Theas Haus strich. Die Außentüren hatte sie abgeschlossen. Seltsamerweise – im Gegensatz zu den übrigen Räumen – war das Schlafzimmer blitzsauber. Es gab ein extra breites Doppelbett, einen kleinen Tisch mit Festnetztelefon und Fernseher, einen größeren Tisch mit drei Sesselchen drum herum, ein Toilettentischchen mit vier schmalen Schubladen und einen Schrank mit Spiegeltüren. Zwei der Schubladen waren vollgestopft mit Fotografien. In einem Winkel befand sich hinter einer Glasschiebetür ein luxuriös gekacheltes Badezimmer mit Toilette, Bidet und einem Doppelwaschbecken, darüber ein Spiegel über die gesamte Breite der Wand. Außer dem Balkon gab es noch ein Fenster, das hinten auf die Grünfläche mit dem Gartenhaus hinausging. Es roch nach Parfüm. Es musste ein schweres Parfüm sein, wenn es sich so lange in der Luft hielt.
    Campari hatte ihr eingeschärft, Latexhandschuhe zu tragen, und ihr welche mitgegeben. Sie zog eine der beiden Schubladen mit den Fotografien heraus.
    Die Sonne trat hinter einer Wolke hervor und warf einen dicken Strahl in Theas Schlafzimmer.
    Unter den vielen Fotografien, die Fritzi sich genauer ansah, war ein großer grüner Umschlag mit zwei Dutzend Aktfotos von Thea. Fritzi kriegte immer größere Augen. Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Keines der Bilder würde man als harmlos bezeichnen. Die Fotos waren mal in provozierender, mal in eindeutig obszöner Pose in Nahaufnahme. Eine Art Vorzeigekatalog für erstklassige Ware.
    Das war ihre Freundin gewesen? Die Klasse-Basketballerin vom TSV Wasserburg? War sie nymphoman gewesen, oder tat sie es für Geld? Was das Geld anging, hatte sie doch recht gut verdient in den beiden Jobs als Physiotherapeutin und Profi-Basketballerin. Aber mit wem hatte sie es getrieben? Bestimmt eine Sache, die es sich lohnte, weiterzuverfolgen.
    Der Schimmer einer Träne hing in Fritzis Auge. Doch es galt, cool zu bleiben. Sie musste Campari informieren.
    Es schellte keine zwei Mal, dann war er dran.
    »Ja, Fritzi?«
    »Da haut’s mi glatt um!«, rief Campari am Telefon aus. »Ich mach grad hier meinen Job noch fertig. Dann treffen wir uns bei Thea, okay? Ein Hammer ist das!« Kurze Pause. »Hast du schon was mit dem Zementsack und den Kabeln rausfinden können?«
    Nein, Fritzi hatte sich bisher im Inneren des Hauses umgeschaut. Bis sie den Umschlag gefunden hatte.
    Campari beeilte sich, das Gespräch mit Wang Ming zu beenden, und machte sich auf den Weg. Er ging am Kirchenhügel vorbei, über die Dorfstraße, überquerte den Feldbach, noch einhundertfünfzig Meter, an Dreilinden vorbei, dann bog er links in den Libellenweg.
    Wenn er schon einmal dabei war, wollte Campari gern der Nachbarin in Nummer 20 einen Besuch abstatten, bevor er Fritzi in Theas Haus traf.
    Frau Stadtmüller in Nummer 20 war ein lebender Fleischkoloss.
    »Kommen Sie herein!«, hatte sie gerufen. Die Haustür war nur angelehnt.
    Er kam herein. Frau Stadtmüller saß in ihrem Rollstuhl und strickte. Campari hielt das, woran die Frau arbeitete, für cremefarbene Wollstrümpfe von gigantischem Ausmaß. Der Rollstuhl war das Schmalste an ihr, alles andere quoll darüber hinaus. Die Arme glichen riesigen Ingwerwurzeln, die Knöchel waren keine Knöchel, sondern gelbliche Ballons mit roten Flecken. Doch ihr Haar, das war in edles Blau getaucht und die Frisur frisch onduliert.
    »Schrecklich«, klagte sie, als er eingetreten war. »Schrecklich, der Tod von meiner Nachbarin.« Sie klang, als spräche

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