Kirchwies
mit dem Odilo zurecht, Spatzl? Ist der Burschi brav?«
Margot lachte, dass ihr Busen bebte. »Brav? Der? Einen Sack Flöhe hüten ist einfacher. Aber jetzt hab ich’s in die Hand genommen, und jetzt führ ich’s auch zu End. Wie lang eigentlich noch?«
»Ich klapper jetzt ein paar Befragungen ab. Das wird schon ein bisserl dauern.«
»Warum nimmst du nicht das Auto dafür? Dann geht’s schneller.«
»Nix Auto. Wir sind ein autofreies Dorf, und dabei soll’s auch bleiben. Ich nehm mein altes Fahrrad.«
Ein verdächtiges Glitzern hatte in seinen Augen gestanden.
Campari hatte sich – was selten vorkam – auf sein Uraltfahrrad geschwungen und verschiedene Adressen abgeklappert.
Das größte Auto von Kirchwies besaß der Anton Scheiberl. Einen mit acht Zylindern, der besonders leise schnurrte. Bei Tag und bei Nacht. Zu ihm wollte Campari als Erstes.
Doch auf dem Weg dorthin ließ er sich ablenken.
Von Weitem schon hörte er das Geschrei, Gebell, Geblöke, Gewieher, Geschnatter und Gekrähe vom Viecherhof. Auf dem umzäunten Gelände lebten ungefähr zweihundert vor dem Tod gerettete Tiere, die meisten davon schon alt und jenseits von Gut und Böse. Er als Bürgermeister des Herzlichsten Dorfs musste stets ein Auge auf erfolgreiche Medien- und PR -Arbeit haben. Obwohl die ursprüngliche Idee vom Pater Timo stammte, fand Campari es nicht schlecht, was da geschah. »Nicht schlecht«, das war das größte Maß an Lob und Begeisterung, das ein Kirchwieser oder, grob gesagt, ein Oberbayer zu erteilen bereit war.
Der Viecherhof war ein weiter, sonnenbeschienener Platz, auf dem sich die Viecher tummeln konnten. Der aber auch so gut beschattet war, dass die Tiere ihren Frieden finden konnten. Pferde, Enten, Kamele, Schweine, Papageien, Hunde, Katzen, Ziegen, Lamas, Pfaue, Honigbären, Gänse, Hirsche, Truthühner, Frettchen, Füchse, Strauße und Affen – alle lebten friedlich zusammen und erhielten ihr Gnadenbrot. Von Weitem schon waren sie zu riechen und zu hören.
In Camparis Rücken stand in der Ferne eine gezackte Felsformation am Horizont, im Osten erhob sich der Heuberg mit einem Steilfelsen voller Erosionen und unterirdischen Höhlen. In der Früh noch war er versteckt gewesen hinter dem wabernden Dunst, der aus prall blühenden Almwiesen aufstieg.
Die Melancholie des Sommers hatte noch nicht eingesetzt, und die Viecher, die Campari zu Gesicht bekam, strahlten Fröhlichkeit, Würde und Zufriedenheit aus. Ein Kamel beispielsweise kann unwahrscheinlich deprimiert dreinschauen und ein Papagei den Kopf hängen lassen oder sich vor lauter Gram die Halsfedern ausrupfen, wenn er mit sich und der Welt nicht zufrieden ist. Je näher Campari auf seinem großväterlichen Fahrrad dem Hof kam, desto mehr ähnelte dieser einem großen Sanatorium, dessen Bewohner froh und glücklich waren. Je näher er kam, desto bestialischer stank es allerdings auch.
»Griaß di«, sagte der Benedikt, der sich im Nebenberuf um die Tiere kümmerte. Im Hauptberuf war er der größte Bauer von Kirchwies. Sein wunderschöner Hof war im Hintergrund zu sehen. Ein weiß gekalktes Gebäude mit dunkelrotem Schindeldach und umlaufenden Holzbalkonen im ersten und im zweiten Stock. Rote Geranien, gelber Sonnenhut, blaue Begonien und hängender grüner Weihrauch verzierten das dunkle Holz und machten das Bauernhaus zu einer lebenden Tourismus-Werbung. Über dem Eingang hing ein beinahe lebensecht wirkender Christus am Kreuz. Drei nussbraune Jagdhunde sprangen umher, und auf der Weide, die bis zur Koppel des Tierhofs reichte, grasten friedlich ein paar Pferde aus dem Privatgestüt des Bauern. Gackernde Hühner liefen ihnen zwischen den Beinen herum.
Der Benedikt empfand sich als guter Christ und verehrte neben der Dreieinigkeit auch den Pater Timo. Deshalb war er bei allem, was er anstellte, dem Campari immer ein bisserl suspekt. Doch, wie gesagt, er tat auch viel Gutes.
Der Bene streckte dem Bürgermeister über den Koppelzaun die Hand hin und lachte ihn freundlich an. »Seid’s scho weiterkemma mit eurem Mord?«, fragte er neugierig. Er schob den Strohhut aus der Stirn und paffte an seiner Pfeife.
Obwohl er im vergangenen Jahr erst seinen fünfundfünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte, war sein wettergegerbtes Gesicht wie bei einem Neunzigjährigen von tiefen Furchen, Runzeln und kleinen Fältchen durchzogen.
Campari hatte den Eindruck, dass sich hinter der Fassade dieser Fältchen mehr verbarg als nur Freundlichkeit. »Mogst mi ned?«,
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