Kirchwies
war so, wie es sich selbst ein psychologisch erfahrener Mordermittler wie Max Campari nie hätte vorstellen können.
fünf
Fritzi war mit dem Fahrrad zum Rathaus gekommen und fuhr nun mit dem Fahrrad die Dorfstraße hinunter. Zierlich und geschmeidig saß sie im Sattel. Geballte Kraft. Ihr Augen leuchteten, die Sache hatte begonnen, spannend zu werden. Am Morgen hatte sie mit einigen Basketballspielerinnen gesprochen und versucht herauszufinden, ob Thea Feinde hatte. Vielleicht ein zurückgewiesener Fan oder Bewunderer. Doch alle sagten, Thea sei zwar zurückhaltend, aber immer sehr beliebt gewesen, und sie wüssten von keinem Feind.
Bei alldem vermisste Fritzi Odilo, das war der einzige Wermutstropfen. Doch er war bei Margot gut aufgehoben. Das beruhigte sie. Einen Wimpernschlag lang überlegte sie, ob sie nicht umkehren und … doch wer überquerte da vor ihr gerade die Straße?
»Odilo!«, rief sie beglückt. »Odilo!«
Odilo an Margots Hand. Die hob abwehrend den Arm.
»Wo geht ihr hin? Was macht ihr? Wie geht’s dir? Ist der Bub auch brav?«
»Hirsebrei mit brauner Butter ist das beste Bauernfutter«, rief Odilo ihr entgegen.
Fritzi sprang vom Rad und schloss ihr Söhnlein in die Arme. »Hat Tante Margot dir Hirsebrei gemacht. Das ist fein.«
»Ja, wenn er ihn bloß aufgegessen hätte«, warf Margot ein.
»Rede wenig, rede wahr, trinke mäßig, zahle bar«, rief Odilo fröhlich mit dünnem Stimmchen.
Fritzi legte die Stirn in Falten und fuhr dem Buben übers Haar. »Wo hat er denn die Sprüche her?«, fragte sie verwundert.
Margot zuckte mit den Achseln. »Wir kommen halt rum, und der Odilo schnappt überall was auf.«
Fritzi entschuldigte sich, sie habe es eilig, weil der Große Ermittler auf sie warte, verabschiedete sich schweren Herzens und schwang sich wieder auf ihr Rad.
»Pfüadi, Odilo, wir sehen uns hoffentlich heut Abend!«
Sie kam zu der Abzweigung, die an der Kirche und am Kirchwieser Löchl vorbei nach Westen führte, und bog in die kleine Seitenstraße ein, über die man zu Mehmet Wandras Hof kam. Er lag nördlich des kleinen Flugplatzes. Von dort kletterte das Sträßchen in steilen Kurven hügelwärts. Sie musste mächtig in die Pedale treten, und trotz ihrer guten Kondition strengte sie das Bergauffahren an.
Felder und Äcker fielen neben ihr ab, kurz darauf stand sie vor dem kleinen Anwesen. Es war umgeben von einem Holzzaun, der mit dünnem Maschendraht gesichert war, sodass die Tiere nicht weglaufen konnten. Das von Wind und Wetter zerzauste Gras war mit blauen Kornblumen und wildem rotem Mohn gesprenkelt, und ein paar uninteressiert dreinblickende schwarzgesichtige Ziegen belebten die Wiese. Hühner gackerten aus einem Stall an der Ostseite herüber. Es war zugig hier oben, die kühle Luft, die über die Hügelkippe wehte, roch nach Kartoffelfeuer. Bevor Fritzi den Riegel am Holztor zurückschob, lehnte sie das Fahrrad gegen den Zaun. Dann trat sie ein und sah sich um.
Die schmutzig weiße Wand des Bauernhauses hätte einen frischen Anstrich benötigt. Ebenso hätten einige Ziegel am Dach ausgewechselt werden müssen. Es war eben nicht wie bei ihr daheim im Blumenhof. Davon abgesehen war der Ort ein Paradies des Friedens und der Harmonie, auf dem ein starker Mann wie Mehmet Wandra sich gehörig austoben konnte. Wenn er wollte. Ein Haufen frisch gehacktes Buchenholz und der sauber geschichtete Stapel dahinter zeugten von ersten Gehversuchen.
Das ungeordnete Grundstück erinnerte Fritzi wieder einmal daran, dass jeder Garten von dunklen Pfaden des Verbrechens durchzogen ist. Dass nicht nur neues Leben sprießt, sondern auch der Tod sein düsteres Unwesen treibt. Blattläuse fallen dem Marienkäfer zum Opfer, der Wurm der Amsel. Der Sperber frisst den Spatz, Krähen räubern das Meisennest. Jeder Garten ist nicht nur ein Hort der Kultur und ästhetischer Formspiele, sondern auch eine Spielwiese des Naturgesetzes vom Stärkeren und Schwächeren.
Nach einer graffitiverschmierten Hauswand hielt sie vergebens Ausschau. Es hingen auch keine toten Hühner am Türpfosten, so wie Wandra behauptet hatte. Sie erinnerte sich: Sie hatte absichtlich noch einmal nachgefragt, ob er die Hühnerleichen abgenommen hatte. Er hatte es verneint.
Das war ein Widerspruch.
Wie war Mehmet Wandra einzuschätzen?
Sie war gespannt, wie Campari die Nachricht aufnehmen würde.
»Noch mal von vorn«, sagte Campari.
Großes Verlangen verspürte er nicht, die abgrundtiefe Verzweiflung in Mehmet Wandras
Weitere Kostenlose Bücher