Kirchwies
Stimme noch einmal zu hören. Doch er musste es tun. Fritzi sollte ruhig mithören. Sie war ziemlich aufgelöst zurückgekommen, doch mit einer einzigen Handbewegung hatte Campari ihr klargemacht, dass ihr Bericht warten müsse.
Wandra hatte Wichtiges zu berichten. So wichtig, dass Campari es selbst noch einmal hören wollte. Nach nur einem einzigen Mal vermochte er es kaum zu glauben.
»Kann ich einen Schnaps haben«, bat Wandra in flehendem Ton.
»Schnaps nicht. Aber ein Wasser«, sagte der Bürgermeister mit einem Blick zum Kühlschrank in der Ecke.
Der Riese schüttelte den Kopf, dass die Haare flogen, und vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich brauch aber einen Schnaps. Einen Doppelten. Sonst kann ich nicht mehr.«
Wie unbeabsichtigt stützte sich Campari beim Aufstehen mit der flachen Hand auf Fritzis Oberschenkel ab. Sie unterdrückte einen Aufschrei.
»Einen Schnaps haben wir nicht«, sagte er über die Schulter. »Aber einen Obstler. Wie in jeder gscheidn bayerischen Wirtschaft.«
Wandras Wangen färbten sich rosa. Er war nervös und setzte sich ganz vorn auf die Stuhlkante, als er das Glas in einem Zug wegkippte und die Augen verdrehte.
»Ich war in Thea verliebt«, begann er. »Nicht erst seit dem Gartenfest. Wir haben uns geliebt. Sie war öfters bei mir, hat sich vorher mit dem Radl den Hügel raufgeplagt. Ihr mit eurem blöden Autofahrverbot!«
Mehmet Wandra machte keine Pause und redete ohne Punkt und Komma. Er hatte sich wieder aufgerichtet, seine Augen glänzten, in den Winkeln glitzerte Feuchtigkeit.
»Wir haben uns wirklich geliebt. Nur für mich hat sie einen Kosenamen erfunden – Bärli! Sie glauben ja nicht, wie ich die Frau vermisse! Wie schrecklich es ist, dass sie tot ist. Ermordet. So grässlich ermordet. Und in der Nacht, als sie ermordet wurde, war ich unterwegs zu ihr. Zu Fuß natürlich. Ein Fahrrad besitze ich nicht. Begreifen Sie das? Ich war in der Mordnacht unterwegs zu ihr.«
Das Rosa war aus Wandras Gesicht gewichen. In seinen Augen stand die Angst geschrieben. Seine Hände und Finger wirbelten wild umeinander.
»Und dann?«, sagte Campari leise. »Berichten Sie, was dann geschehen ist. Sagen Sie es Frau Gernot. Und sagen Sie ihr, wie spät es war. Welche Uhrzeit.«
»Das Auto? Meinen Sie das?« Er heftete die Augen auf Fritzi. »Es war dunkel. Und es war drei Uhr sechsundfünfzig, als mir das Auto entgegenkam. Als wenn ich es geahnt hätte, habe ich nämlich auf die Uhr gesehen.«
»Ein Auto?«, fragte Fritzi ungläubig. »Auf der Dorfstraße?«
»Ja. Ich drückte mich zur Seite, damit ich nicht gesehen werden konnte. Es war das Ami-Auto von dem … dem …«
»Herrn Scheiberl.«
»Ja, von dem. Und ich glaub, der saß auch drin. Der hatte ganz schön getankt, das fiel mir schon vorher auf dem Fest auf. Er fuhr in Schlang…« Wieder sank Wandra zusammen und presste die Hände auf die Augen.
»Schlangenlinien«, half Fritzi aus.
»…enlinien durchs Dorf. Er hat mich bestimmt nicht gesehen.«
Dann brach er wieder zusammen. War sein Theater gespielt oder echt?
Campari hatte jede Aufmerksamkeit eingebüßt. In seinem Kopf kreiste nur mehr ein Wort. Nur ein einziges Wort: Bärli!
Bärli hatte sie auch ihn genannt.
In ihm tobte ein Feuersturm. Sein Inneres war voller Ratten und Maden, die ihn bei lebendigem Leib aufzufressen drohten.
Bärli! Seine Thea. Er musste an die anderen denken. Neben dem Wandra waren es der Scheiberl, der Benedikt und wer weiß, wer noch. Hatte sie alle mit diesem Kosenamen versehen, damit sie in der Vielfalt niemanden verwechselte und mit falschem Namen ansprach? Nicht den Wandra als Bene und ihn selbst nicht als Anton?
Bärli …
Seine Liebe zu ihr begann rapide zu schmelzen. Wie ein Schneemann auf der Mitteralm im März. Er begann sie zu hassen.
»Und? Haben Sie Ihr Werk vollendet?«, fragte Fritzi. »Waren Sie am Haus? Im Libellenweg Nummer achtzehn?«
»Nein. Ich war nicht mehr am Haus. Mir hat’s die Sprache verschlagen. Irgendwie hatte ich’s im Urin, dass der Mann von der Thea kam. Da wusste ich natürlich noch nicht, dass sie tot war. Da bin ich wieder umgekehrt.«
»Wieder umgekehrt. Aha. Und – ist Ihnen auf dem Rückweg noch mehr aufgefallen? Kam der Wagen möglicherweise noch einmal in Schlangenlinien zurück?«
Nachdenklich fuhr sich Wandra mit der Hand durchs Haar. Auf den Handrücken war ein Zeichen tätowiert, das dem Äskulapstab ähnelte, wie ihn Ärzte und Apotheker verwenden.
»Nein, der ist nicht
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