Kirchwies
Wochen nach Vaters Tod – zum Bürgermeister von Kirchwies gewählt geworden war.
Obwohl ihm die zunehmende Leibesfülle zu schaffen machte und das herannahende Alter sein Haar allmählich spärlicher werden ließ, hielt sich Campari immer noch für jung genug, um in den Landtag einzuziehen und dort noch etwas zu zerreißen. Deshalb hatte er sich beworben. Und nun wollte ihm die Generalsekretärin sicher persönlich mitteilen, dass seinem Gesuch stattgegeben worden war. Vielleicht bekam er sogar schon einen Posten angeboten, in einem Untersuchungsausschuss etwa oder einem anderen Gremium, das mit Polizei oder Terrorismus zu tun hatte.
»Mein lieber Campari. Selbstverständlich unterstützen wir Ihre Bewerbung voll und ganz. Vor allem ich selbst halte Sie für einen äußerst geeigneten Mann für den Sitz im Landtag. Ein echtes Mannsbild eben, Sie wissen schon.«
Er hörte die Dame verhalten lachen. Na bitte, er hatte doch gute Karten. Freudige Erregung erfüllte ihn.
»Was Sie vermutlich noch nicht wissen … nein, Sie können es gar nicht wissen: Die Vollversammlung hat vorgestern einen Beschluss gefasst. Wir sind eine christliche Partei, und da gehört es sich, dass nur bekennende Christen ins Parlament kommen. Und, mein lieber Campari, für diese Eigenschaft sind Sie nicht gerade berühmt, das muss ich schon bekennen.«
Pause.
Und jetzt? Was kam jetzt?
»Wissen Sie, was ein Mitglied der Versammlung eingeworfen hat?«
Wieder dieses erfrischende Lachen hinter vorgehaltener Hand.
»›Der Campari befolgt zwar die Lehre Christi. Aber nur insoweit, als es sich mit einem Sündenleben vereinbaren lässt.‹«
Bevor der Bürgermeister die Tragweite dieser Aussage erkannt hatte, setzte die Generalsekretärin nach.
»Ich will mich kurz fassen, Campari. Wir benötigen einen Nachweis Ihrer christlichen Einstellung. Einen Befähigungsnachweis sozusagen. Wie gut kennen Sie das Neue Testament? Fragen Sie sich das selbst. Wenn Sie trotz dieser Einschränkung weiter an Ihrer Bewerbung festhalten, müssen Sie vor eine Prüfungskommission treten. Einzelheiten gehen Ihnen in den nächsten Tagen zu. Behüt Sie Gott, Campari.«
Während er telefonierte, hatte er den Weg zum Dorfkramer eingeschlagen. Sein Schnupftabak war ausgegangen. Wang Ming hielt immer eine eiserne Reserve für ihn bereit.
Er fühlte sich wie nach einem verstörenden Traum.
»Dalf ich Sie was ansuchen?«, fragte der Chinese.
»Klar.«
»Sie wollen in den Landtag. Gibt es da einen Kiosk?«
Kurze Pause.
»Kann ich nicht sagen. Weiß ich nicht. Warum?«
»Wenn nicht, sollten Sie sich einen gewissen Bestand an Schnupftabak zulegen.« Wang Ming blickte unschuldig zum Himmel.
Der Wind hatte alle Wolken weggeblasen, der Himmel erstrahlte in einem unwirklichen Blau. Die Sonne tauchte die umliegende Landschaft in ein zartes Rosa. Campari sah nur blendendes Weiß. Auf dem Rasen vor Wang Mings Dorfkramer hoppelten zwei Kaninchen umher, ein schwarz-weiß geflecktes und ein schneeweißes. Auch eine Ziege hatte sich eingefunden, um an den jungen Büschen zu knabbern, die der Chinese noch im Herbst gepflanzt hatte. Die Schatten der Bäume sahen wie längliche rauchblaue Flecken aus. Neben Wang Ming kämpfte er sich die paar Meter bis zur Eingangstür durch. Er spürte dessen Seitenblicke. Seine Augen brannten.
»Wissen Sie beleits«, fragte Wang Ming, »dass Flau Blommel wieder ausgeglaben werden soll?«
sechs
Zinkwannen. Futtertröge. Unikate, die zweihundert oder mehr Jahre alt sein konnten. Brunnen. Tränken aus Naturstein. Zeugen einer vergangenen Zeit, die an den Wert des Wassers erinnerten, als es noch nicht in jedem Haus aus der Leitung floss.
Fritzi Gernot hatte während ihrer aktiven Zeit solche Einzelstücke gesammelt. Jeden Flohmarkt, jede Ausstellung hatte sie besucht, um sie zu erwerben. Und nun streifte sie durch ihren weitläufigen Garten, der weder übertrieben hochgezüchtet noch gänzlich naturbelassen war. Aus allen Gefäßen lachten sie die wunderschönsten Sommerblumen in allen erdenklichen Farben an. Heidi hatte sie gepflanzt. Den Rest hatte sie selbst gemacht.
Sie mochte das. Allein auf der Terrasse umhergehen und den Garten genießen, der sich vor ihr ausbreitete. Einsame Wanderungen durch die Weiten ihrer Anlage unternehmen, wo ihr ständig Neues begegnete. Sich auf einer der Bänke aus Stein, Holz oder patiniertem Metall niederzulassen, die Augen zu schließen und sich fallen zu lassen.
Das alles machte sie glücklich.
Sie
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