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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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auf die Oberlippe. Wo er sich wohl rumtrieb in dem Kaff?
    Trotzdem wurde sie auf einmal von einem tiefen Glücksgefühl erfasst. Dass dieses Gefühl nicht länger als bis zum Abend anhalten würde, konnte sie zu dieser Stunde nicht ahnen.

sieben
    Bei Einbruch der Dunkelheit patrouillierte der Todesengel ruhelos wie ein Gepard in Gefangenschaft vor dem Zaun zum Blumenhof auf und ab. »Gepard« war freilich ein untauglicher Vergleich. »Zorniger Büffel« oder »Wütender Bär« wäre passender gewesen. Das kleine Türchen im Zaun, das hinaus aufs freie Feld führte, hatte er schon vor Tagen erkundet.
    Bevor er es öffnete, schlüpfte er mit dem Kopf unter eine Sturmhaube. Nur beide Augen und der Mund waren frei. Dann streifte er sorgfältig die Handschuhe über. Diesmal mit Naturlatex beschichtete Gartenhandschuhe, garantiert wasserundurchlässig und mit grüner Innenfläche.
    Vom Haus her drang Licht durch die Büsche und Sträucher. Normalerweise hatte er Sinn für schöne Gärten, Blumen und Blüten. Doch in diesen Minuten – und viel länger sollte sein Vorhaben nicht dauern – fehlte ihm jegliches Gefühl fürs Außerordentliche.
    Fritzis Wohnung lag unten im Westflügel des Gebäudes. Die Seitentür, die in den Wohnflur führte, ging nach innen auf. Die Anleitung, wie man eine solche Tür öffnet, hatte sich der Todesengel im Internet bei YouTube geholt. Mit bemerkenswertem handwerklichem Geschick hatte er nach den Anweisungen einen Draht in eine bestimmte Form gebogen, hatte zu Hause zehnmal erfolgreich eine Tür aufgemacht – er war zuversichtlich. Selbst wenn er beim Öffnen ertappt würde, war er maskiert und hätte immer noch die Waffe dabei. Dessen, was er vorhatte, welche Gefahren sein Plan barg und wie er ihnen zu begegnen hätte, war er sich voll bewusst.
    Erst als er tief gebückt an der hell beleuchteten Terrasse vorbeigeschlichen war und wieder ins Dunkel eintauchte, ergriff ihn eine wachsende innere Erregung. Er spürte sein Herz bis zum Hals pochen.
    Es war totenstill. Hatte die Nacht für ihn alle Geräusche unterdrückt? Jedem Vogel das Zwitschern untersagt, jeder Ratte das Fiepen, der Fledermaus das zischende Flattern?
    Auch er durfte kein Geräusch verursachen, nicht den geringsten Laut. Die Geräusche, die er vernahm, kamen von innen. Ein inneres Rauschen, das hinausdrängte. Es machte ihn fast wahnsinnig. Auch in den Sekunden, in denen er mit der Linken die Türklinke fixierte und mit der Rechten den gebogenen Draht nach unten durch den Türritz gleiten ließ. Exakt in der Sekunde, als er spürte, wie die Türfalle sich lockerte, der Draht über sie hinwegglitt und den Widerstand beseitigte, rutschte ihm die Haube über die Augen und versperrte ihm die Sicht.
    Unverzüglich versuchte er, den Stoff in die passende Position zu bringen, die Augen frei zu bekommen, während er weiter an dem Schloss fummelte. Da spürte er einen heftigen Stoß von hinten. Etwas legte sich ihm um die Schultern. Etwas Weiches, Warmes. Er konnte die Hände nicht wegnehmen, sonst wäre alle Arbeit umsonst gewesen. Sie waren wie gefesselt. Er war hilflos. Er sah nichts. Und es saß ihm etwas im Genick.
    Er hörte ein friedliches Klack! und spürte einen sanften Luftzug.
    Die Tür war offen.
    Er zerrte an der Haube, riss sie zur Seite. Das irritierte die Katze. Sie sprang ihm von der Schulter. Ihr Schatten verschwand in der Finsternis.
    So was von leichtsinnig, musste der Todesengel denken. So ein einfaches Schloss!
    »Halt! Hände hoch!«
    Fritzi amüsierte sich. Zu durchsichtig war die Jagd nach dem Verbrecher im Fernsehkrimi gewesen.
    Genüsslich lehnte sie sich zurück und nippte an dem Rotwein, den Campari ihr verehrt hatte. »Für deine bisherigen Verdienste«, hatte er gesagt. Sie konnte nicht beurteilen, ob es ironisch gemeint war oder ernst. Bei diesem Typ wusste man kaum einmal, woran man war. Im Grunde hatte sie auch überhaupt keine Lust mehr auf dieses Räuber-und-Gendarm-Spiel. Nur Thea zuliebe hatte sie zugesagt.
    Die Ermittlungen zogen sich hin und fanden kein Ende. Sie war nur am Rand beteiligt. Quasi eine Gehilfin. Aber was das Schlimmste war: Odilo war entführt worden, und sie war felsenfest überzeugt, dass es mit der ganzen Sache zusammenhing. Dafür sprach schon allein der Zettel.
    Hört auf, hinter Thea herzuschnüfeln. Last die Finger weg. Sons pasiert noch ein Unglück …
    Ihr Gefühl der Ohnmacht hatte sich mit jedem Tag verstärkt. Die Untersuchung des Zettels hatte keine verfolgbare

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