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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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riskierte einen schrägen Blick zum Haus, zur ersten Etage, wo sie den Journalisten einquartiert hatte. Wurde sie beobachtet?
    Manchmal hatte sie das Gefühl, als spürte er ihr nach. Nie konnte sie abschätzen ob, und wenn ja, weshalb. Dabei wurde seit Tagen schon jeder Augenblick ihres Daseins von Felix Breitenberg mit Beschlag belegt. Nein, nicht nur das. Es war noch mehr. Jeder Gedanke, bewusst oder unbewusst, drehte sich um ihn.
    Sie wirkte zerstreut. Abwesend. Campari hatte sie mehrfach darauf angesprochen. Er betrachtete sie mit forschender Verwunderung.
    »Sag, was ist mit dir los?«
    Auf der Dorfstraße am Kreisel hatte sie sich mit Heidi über Blumen, Gott und die Welt unterhalten, wie es Heidis Art war.
    »He, Fritzi«, hatte Heidi gelästert. »Bist du grad an der zweiten Enttäuschung dran?« Die erste war ihr Ehemann gewesen.
    Die Heidi hatte nicht ganz unrecht. Ihre Zerstreutheit blieb nicht unbemerkt, auch wenn niemand die Ursache kannte. Sie hatte sich verliebt, während die Tage heimlich verstrichen waren.
    Neulich war sie in der Dämmerung strickend auf der Terrasse gesessen und immer tiefer in einen Zustand dumpfer Schläfrigkeit gefallen. Sie beschloss, hineinzugehen und sich eine Tasse Tee zu machen. Auf dem Weg ins Haus traf sie auf Felix Breitenberg.
    Hände in den Taschen, eine dunkle Silhouette. Er trug die unvermeidliche schwarze Mütze auf dem Schädel, ein Fuß ruhte auf einer Stufe.
    Bewusst ruhig atmend, hatte sie ihren Weg an ihm vorbei fortgesetzt und wollte mit gespielter Unbefangenheit die Terrassentür aufstoßen. Dass ihr Verhalten unhöflich wirken musste, nahm sie in Kauf. Einen Herzschlag lang hatte sie gezögert, hineinzugehen.
    »Grüß Gott, Fritzi, was für ein Vergnügen, dich zu sehen.«
    Hatten sie sich geduzt? Sie wusste es nicht mehr. Ihr Herz hüpfte.
    Wenig später hatte er mit den Fingerspitzen über ihre Schulter gestrichen. Ihr gefiel das Kribbeln, das seine Berührung auslöste.
    Ein bisserl zaghaft schlang sie die Arme um ihn. Ein hitziges Begehren kochte in ihr hoch. Was sie in diesem Augenblick empfand, war eine Art Dahinschmelzen, ein Versinken in einen anderen Menschen, der ihr bisher total fremd gewesen war.
    Sie hob die Hände und drückte sie gegen seine Brust. Obwohl sie es sich so sehr wünschte, obwohl sie nach ihm brannte – sie brachte es nicht fertig, sich ihm schon jetzt ganz hinzugeben. Solche Gedanken und Wünsche hatten offenbar ihre Körperströme gelenkt. Es musste wohl ein angeborener Instinkt sein, dass sie ausgerechnet im Moment der größten Annäherung Nasenbluten bekam. Ihr Körper versuchte damit, die rote Sonne der Begierde zum Untergang zu zwingen. Sie hatte den Kopf vorgebeugt und musste selbst darüber lachen. So waren sie sich beim ersten Mal begegnet. Mit Nasenbluten. Er war bereits geübt darin.
    »Mama, du blutest ja schon wieder!«
    Hätte das Nasenbluten nicht geholfen, Odilo hätte es wieder einmal geschafft, alles zu versauen. Wie ein kleiner Feldherr hatte er vor ihnen posiert, die Hände in die Hüften gestützt. »Bayern können alle Plagen, aber bloß kein Blut vertragen«, quietschte er vergnügt.
    Fritzi und Felix waren sich mit hängenden Armen unschlüssig gegenübergestanden.
    Das war wenige Tage her. Nein, die Heidi hatte nicht unrecht. Man merkte ihr die Zerrissenheit an. Sie hatte sich in einen Mann verliebt, den sie überhaupt nicht kannte. Sie wusste nicht, wer er war, wo er herkam und ob das, was er erzählte, stimmte. Auf Camparis Liste war er noch immer unter den Verdächtigen eingereiht.
    Campari, fiel ihr siedend heiß ein. Er hatte ihr aufgetragen, den Journalisten über die Exhumierung zu informieren.
    Da war sie wirklich gespannt, die Fritzi, ob dieser Trick funktionieren würde. Während des Studiums hatte sie ein oder zwei Praktika in der Rechtsmedizin in der Münchener Nußbaumstraße absolviert. Schon damals hatte sie nicht verstehen können, wie ein gestandener Arzt sein Leben damit verbringen konnte, mit übel zugerichteten Leichen herumzuspielen, ihre Mägen und Därme zu entleeren und Teile von ihnen wegzuschneiden. Einmal ganz abgesehen vom grauslichen Geruch in der Pathologie.
    Fritzi Gernot warf einen weiteren verhangenen Blick hinauf zum ersten Stock. Beschattete die Augen mit der Hand. Sie konnte Felix nirgends sehen. Der Magen zog sich ihr zusammen, sie musste ihren Atem in Ordnung bringen. Ein Gemisch aus Lust und Angst, grauem Trüb- und rosigem Frohsinn machte sich breit. Sie biss sich

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