Kirchwies
Mings Hühnerhof hielt er es nicht mehr aus. Er rief Breitenberg an.
Als habe der auf den Anruf gewartet, war er auf Anhieb dran.
»Was erzählst du da?«, sagte Campari in dem Versuch, nicht vorwurfsvoll zu klingen. »Weißt du mehr als ich? Wenn das so ist, verlange ich auf der Stelle, dass du mich informierst.«
Man konnte den Hohn förmlich riechen, der von seinem Gesprächspartner ausging.
»Ach ja?«, sagte Breitenberg. »Hab ich dich neugierig gemacht? Fritzi hat dir sicher von Thea Brommels Mutter und Theas Stiefvater berichtet. Von Hans Schmid, der in Südamerika, vermutlich in Venezuela, lebt. Diese Information hat sie von mir. Recherche nennt man das.«
»Treib’s nicht auf die Spitze, Breitenberg!«, warnte Campari. »Verkauf mich nicht für blöd.«
Er hielt an der kleinen Brücke an, die nördlich des Grünsteinsees über den Kirchbach führte. Mit einer Hand griff er ans Geländer und starrte in das ruhige Wasser. Recherchieren war schon damals eine von Breitenbergs Stärken gewesen, als sie zusammen in der Münchener Mordkommission gearbeitet hatten. Wieder einmal ertappte sich Campari dabei, dass er am liebsten alles selbst machen wollte. Er war eifersüchtig auf Ergebnisse, die andere erzielten. Zum Teufel! Über welches unbekannte Wissen konnte der Breitenberg verfügen?
Eine Frau im Haus gegenüber stand auf dem oberen Balkon und schüttelte einen Teppich aus. »Griaß di, Burgermoasta«, rief sie ihm fröhlich zu.
Er winkte zurück und wischte sich mit der gleichen Bewegung den Schweiß mit einem Tuch von der Stirn.
»Also erzähl schon«, sprach er mit heiserer Stimme ins Handy. »Mach’s nicht so spannend.«
Die Antwort kam umgehend. »Ach, nix Großes. Ich hab nur mal über deinen Freund, den Pater Timo, Erkundigungen eingeholt. Und über seine Familie.«
Campari reagierte leicht genervt. »Ja, zu dem bin ich grad unterwegs. Was gibt’s da, was ich nicht weiß?«
Keine Antwort.
Campari wartete drei Sekunden. Dann schloss er: »Ich muss mit dem Pater reden. Wenn ich fertig bin, ruf ich dich wieder an. Ich lad dich ins Löchl auf a Hoibe ein. Und da erzählst du mir alles.«
Dann ging er weiter. Die Temperatur lag bei knapp dreißig Grad im Schatten. Doch ihm war kalt geworden.
* * *
Die vergangenen Tage waren schon überdurchschnittlich heiß gewesen. Doch den heutigen Tag empfand Fanny als besonders unangenehm. Nicht nur wegen der Temperatur. Sie hatte auch sonst das unbestimmte Gefühl, es könne ihr etwas Unliebsames bevorstehen.
Sie hatte sich einen kleinen runden Holzhocker unter das Dach der schmalen Terrasse an der Nordseite des Pfarrhauses gezogen. Neben ihr stand ein quadratisches Tischchen mit den Zutaten, die sie benötigte, um Sauerkraut für die langen Wintermonate herzustellen. Vor ihr lagerte eine ovale Zinkwanne auf dem Boden. Obendrauf lag quer der etwa hüftlange Krauthobel.
Mit gleichmäßigen Schüben – nach vorn gebeugt – bearbeitete Fanny die geteilten Kohlköpfe, bis das Gefäß voll war mit den Kohlstreifen. Knapp zwanzig Minuten dauerte die Arbeit. Anschließend wurde das Material in den Gärtopf abgefüllt. Hinzu kamen dicke, in feine Scheiben geschnittene Gemüsezwiebeln. Für die Arbeit am Gärtopf streifte sie Haushaltshandschuhe über. Sie streute Kümmel und Dill über das Kraut, als Letztes rieselte die wichtigste Zutat ins Gefäß: Salz. Wie viel Salz benötigt wurde, das kannte Fanny aus jahrelanger Erfahrung. Und davor von ihrer fränkischen Mutter.
Campari und Pater Timo streiften durch den Kirchenraum wie zwei konkurrierende Wölfe, die sich belauerten.
Campari trug weite Jeans, ein kariertes Hemd und darüber eine dünne Leinentrachtenjoppe. Im Ledergürtel steckte ein kariertes Stofftaschentuch, das wegen der Temperatur ständig in Betrieb war.
Pater Timo hatte Arme und Hände hinter dem Rücken verschränkt. Alle zehn Sekunden blickte er empor zum Glockenstuhl, in dem es gewaltig knirschte und ächzte. Es klang, als drohte er jeden Moment einzustürzen. Timo sah hilfesuchend zum Gekreuzigten hinauf.
»Wir werden den Glockenturm sanieren«, sagte Campari trocken.
Pater Timo zuckte. Sein Blick richtete sich auf den Heiland am Kreuz. Doch er war ein gebranntes Kind. Es hatte früher schon solche Versprechen gegeben. Also schwieg er vorerst und wartete auf eine Präzisierung.
Campari blieb stehen, stützte sich an einer Bank ab und sah ihn an. »Es war nicht meine Entscheidung«, erklärte er fast entschuldigend. »Der
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