Kirchwies
und sein Schlafbär dazwischen.
»Wer kümmert sich jetzt um den Buben?«
»Die Margot«, bestimmte Campari.
»Jaaaaa!«, riefen Odilo und der Maxi gleichzeitig.
Campari war es trotz seiner beruflichen Laufbahn – Kriminaler, Kommunalpolitiker – gewohnt, positiv zu denken. Dennoch plagten ihn starke Zweifel, ob diese Ermittlungen bald ein Ende nehmen würden. Alles entglitt ihm. Nirgendwo konnte er den festen Boden finden, nach dem er suchte.
Der Überfall – oder war es ein Attentat? – auf Fritzi musste aufgeklärt werden. Der Mord an Thea war noch offen. Ebenso die Entführung des Buben.
Mehr und mehr erschien ihm die Situation als vollkommen irreal. Sein Kirchwies! Sein Herzlichstes Dorf, war das Vergangenheit? Er fühlte sich schwerfällig, müde und mutlos. Was Trauer war und was Empörung, konnte er nicht unterscheiden.
Er fand den Weg in die Küche, rückte sich einen Stuhl zurecht und setzte sich an den Tisch. Irgendwann wählte er die Nummer, die ihm der Notarzt notiert hatte.
»Wie geht’s ihr?«, fragte er.
»Sie wird durchkommen.«
Campari nickte erleichtert.
Der Pater lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen konsterniert an einem Schrank voll Bücher.
Breitenberg wirkte, als würde er vor Kummer dahinsiechen.
»Geh, stell dich ned so an«, herrschte Campari ihn an. »Du hast doch schon ganz andere Sachen mitgmacht als die da.«
»Die Mama«, meldete sich Odilo zu Wort. »Wann kommt die wieder?«
Die Befragung des Buben brachte nichts ein. Er hatte etwas gehört. Er hatte sich leise nach unten geschlichen. Er sah seine Mama liegen und das ganze Blut. Nein, gesehen habe er niemanden. Eine Tür schlagen? Ja, vielleicht. Aber draußen, die Truthühner, die hätten sich so aufgeregt.
Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen.
Camparis Handy tickte zweimal. Er warf einen kurzen Blick auf das Display. Die lange erwartete SMS war da. Die Exhumierung war bewilligt. Er nickte zufrieden und sah triumphierend in die Runde. An Pater Timo blieb sein Blick hängen. Er nahm ihn zur Seite.
»Es muss ganz schön schlimm sein, ein Geheimnis zu kennen und es über den Tod hinaus bewahren zu müssen. Hab ich recht?«
Irgendwo im Haus schlug eine Uhr. Es war Mitternacht.
neun
Fritzi öffnete zum ersten Mal die Augen. Was sie sah, kam ihr so irreal vor, als sei sie im Paradies.
Margot Campari saß am Bett zu ihren Füßen. Schwer und klobig und mit abgespreizten Beinen. Eine Schwester hielt sich im Hintergrund. Sie war ebenso blass wie ihre Patientin.
»Geht’s dir gut?«, fragte Margot.
Fritzi bekam einen Hustenanfall. Sie schien lachen zu wollen, doch es wirkte wie Ersticken.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Margot. »Ich nehm den Odilo. Ich pass auf ihn auf. Keine Sorge.«
Was in Fritzi vorging, war nicht zu erkennen. Sie äußerte sich auch nicht. Es war nur so, dass ihre Gesichtsfarbe von blass zu schneeweiß wechselte. Es war nur in Nuancen zu unterscheiden, wo die Wangen endeten und der Verband anfing.
Kaum hatte Fritzi unmerklich genickt, da wurde die Tür zum Krankenzimmer sperrangelweit aufgerissen. Sie wäre gegen die Wand geknallt, hätte sich die blasse Schwester nicht dazwischengeworfen.
»Wie geht’s dir, Fritzi?«, fragte Campari übertrieben laut.
Fritzi schloss die Augen.
»Was machst du denn hier?«, fragte Campari seine Frau.
Sie hob schweigend die Schultern und wies auf Fritzi.
Campari legte ein Bündel blauer Enziane auf das Krankenbett.
Aus Margots Augen schossen Blitze.
Als die Schwester die Tür hinter Campari wieder von innen geschlossen hatte, begannen Fritzis Augenlider zu zucken. Sie bewegte die Lippen und hauchte aus, als wolle sie etwas mitteilen.
Besorgt winkte die Schwester Margot zu, zu reagieren. Margot beugte sich zu Fritzi hinüber.
»Grüß den Felix«, konnte Margot verstehen. Doch es war ihr anzumerken, dass sie mit der Botschaft nichts anzufangen wusste. Sie wusste nicht, wer Felix war.
»Klar«, sagte sie.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Campari mit zerfurchter Stirn.
»Ach, nichts«, gab Margot ihm zur Antwort.
Draußen stellte Campari seine Frau so lange zur Rede, bis Margot mit Fritzis letzten Worten herausrückte. Sie sollte den Felix grüßen. Campari kannte nur einen, der dafür in Frage kam. Den Breitenberg. Doch aus welchem Grund ließ Fritzi den Kollegen grüßen? Da stand auch er vor einem Rätsel.
* * *
Nach dieser Nacht lechzte er nach frischer Luft. Deshalb ging Felix Breitenberg nach draußen in das Licht dieses
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