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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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unverschämt schönen Sommertags. Wo konnte es schöner sein als in Fritzis Garten? Eine Handvoll Schönwetterwölkchen schwebte am weiß-blau gescheckten Bayernhimmel, ein zartes Lüftchen fühlte sich dafür zuständig, dass die strahlende Julisonne unten nichts verbrannte. An der Dorfstraße duftete es nach Lindenblüten und ringsum an den Grundstücksmauern und -zäunen nach weißen und roten Heckenröschen. Die Sonne spiegelte sich in den Fenstern der Spielzeughäuser von Kirchwies. Droben in den Bergen blühte wahrscheinlich das Edelweiß.
    Felix hatte in den Spiegel geblickt. Er stellte eine Veränderung an sich fest. Aus dem verliebten, unternehmungslustigen jungen Mann mit leuchtenden Augen war ein besorgter Fünfzigjähriger geworden. Gerötete Wangen, geplatzte Äderchen und tiefe Tränensäcke im gedunsenen Gesicht zeugten von erhöhtem Alkoholkonsum, ein verhangener Blick und herabgezogene Mundwinkel von Kummer und Sorge.
    Das war auch kein Wunder. Er war, nachdem der Mord geschehen war, von seinem alten Spezl Campari gebeten worden, bei der Aufklärung mitzuwirken. Alles war mit München abgestimmt. Er hatte im Vorfeld nur kurz recherchieren können. Seit er seine Zelte in Kirchwies aufgeschlagen hatte, wurden die Nachforschungen nach allen Seiten vertieft. Über Fritzi Gernot hatte er zahlreiche Details erfahren. Über ihr Leben, ihre Karriere, über Privates. Nie wäre er, als er am Bahnhof von Kirchwies ausgestiegen war, auf die Idee gekommen, sich in eine kleine, drahtige Ex-Boxweltmeisterin mit Kind zu verlieben. Doch es war schon am ersten Tag geschehen, als er im Blumenhof sein Zimmer bezogen hatte. Er meinte zu spüren, dass auch sie trotz aller Krallen, die sie ausfuhr, ihm herzlich zugeneigt war.
    Er hatte für sich ein Wolkenkuckucksheim aufgebaut, das in dem Augenblick zusammenbrach, als er Fritzi blutend und halb tot auf dem Fußboden ihres Hauses aufgelesen hatte.
    Jetzt saß er auf der Bank in Fritzis duftendem Traumgarten, simste und dachte über alles Mögliche nach.
    »Ähäm!«
    Campari stand hinter ihm. Er musste sich regelrecht angeschlichen haben.
    »Und du wirst die Filmerei übernehmen!«
    Damit hielt er Breitenberg ein technisches Gerät hin, das selbst auf den zweiten Blick zuletzt im Ersten Weltkrieg bei Verdun Verwendung gefunden haben musste. Campari stand da, in der Rechten die Uraltkamera, die Linke in der Hosentasche, und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er ratlos war.
    »Damit soll ich filmen? Ein Video drehen? Fotografieren?«, bemerkte Breitenberg ironisch. Letztlich war er einverstanden. Doch sie kamen überein, dass er seine eigene Kamera einsetzen würde.
    Breitenberg sah Campari lange und kritisch an.
    Campari hielt dem Blick nicht stand. Er kratzte seine fleischigen, sandigen Backen. »Was is?«, sagte er.
    Breitenberg erhob sich umständlich. »Hast du überhaupt eine Ahnung«, fragte er, »wohin dich deine Ermittlungen treiben?«
    Campari warf ihm einen verständnislosen Blick zu. »Klar«, sagte er. »Ich kenne mein Ziel genau. Deshalb machen wir doch die Exhumierung. Gleich morgen in aller Herrgottsfrüh bei Büchsenlicht.«
    »Ja. Aber ist das denn nötig? Alles liegt doch klar auf der Hand.«
    Campari drehte sich ruckartig um. Er eilte auf das Hauptgebäude des Blumenhofs zu. Dort vollzog er eine Wende und lief über den Weg, der entlang der Hausmauer führte.
    Breitenberg wunderte sich, dass das Thema »Fritzi« nicht zur Sprache gekommen war.
    »Was behauptest du?«, rief Campari über die Schulter zurück. »Was heißt hier klar auf der Hand? Weißt du denn mehr als ich?«
    Breitenberg dachte eine halbe Sekunde lang nach. »Ja«, sagte er nur.
    Für Campari klang es, als käme die Stimme des anderen mitten im Sommer aus einer Höhle aus Eis.
    Campari war so gestrickt, dass er sich niemals blamieren wollte. Auch nicht vor sich selbst. Er wollte immer gewinnen.
    Deshalb war er tief in seine Gedanken versunken, als er abseits der Dorfstraße entlang einiger Seitenwege und -gässchen der Kirche und dem Pfarrhaus zustrebte. Was konnte Breitenberg wissen, was er nicht wusste? Sein Ex-Kollege hatte sich nicht in die Karten schauen lassen. Er hatte ihm nur etwas nachgeworfen, was undeutlich und verschwommen war.
    Die Ungewissheit ließ ihm keine Ruhe.
    Dorfbewohner, die er allesamt kannte, grüßten ihn. Wenn er einmal versäumte, den Gruß zu erwidern, dann nur deshalb, weil er in Gedanken anderswo war. In der kleinen Gasse zwischen Schmied und Wang

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