Kirmes des Todes
„Der hat immerhin jahrzehntelang Kirmesgeschichte geschrieben.“
„Da gibt’s doch nichts zu bedauern“, antwortete Grundmann knapp. „Einmal ist alles vorbei.“
Wie recht er doch hat, dachte Bahn bitter, und wieder kreisten seine Gedanken um Kirmes-Schmitz. Er schrieb einen letzten Artikel im Tageblatt zu diesem Thema, in dem er dem beliebten Wirt einen angenehmen Ruhestand wünschte.
„Schade, es wird sicher vieles fehlen in diesem Jahr“, meinte Bahn zu Waldhausen. Der frühe Feierabend und das Fehlen einer zünftigen Absackerstation würden der Annakirmes viel Flair nehmen, befürchtete er.
„Du mußt halt schneller trinken und darfst dafür auch noch früher schlafen. Ich weiß gar nicht, was du willst“, erwiderte sein Chef schmunzelnd und ohne Anteilnahme. Er stand der Annakirmes-Euphorie, die jedes Jahr in Düren ausbrach, sehr gelassen gegenüber.
„Hast du schon gelesen?“ Wenn Waldhausen sich mit dieser Frage näherte, wußte Bahn sofort Bescheid, daß die Konkurrenz ihnen etwas vorgesetzt hatte. Waldhausen hielt ihm die Dürener Zeitung hin.
Die DZ hatte selbstverständlich neben der Vorverlegung der Sperrstunde auch das Fehlen des „Armen Paul“ aufgegriffen. „Rheydt statt Düren“, so lautete die Überschrift über dem Artikel. Darin schrieb die DZ, der Wirt habe in diesem Jahr erstmals seit etlichen Jahren auf eine Teilnahme an der Annakirmes verzichtet und beschicke statt dessen einen Rummel in Rheydt in seiner Heimatstadt Mönchengladbach. Im letzten Jahr seines Berufslebens wolle sich der „Arme Paul“ nicht mehr dem Streß des Umherziehens aussetzen und lieber in der Nähe seines Wohnortes seine Abschiedstournee bestreiten. Als Autorenkürzel war unter dem Artikel „kl“ angegeben.
„Von wegen zur Ruhe setzen“, bemerkte Waldhausen, „so wie wir’s geschrieben haben. Wie kommt wohl die DZ zu dieser Meldung?“
„Ich kann ja Krupp fragen“, bot Bahn an, auch wenn es ihm unangenehm war. Lars Krupp mit dem Kürzel „kl“ war lange Zeit freier Mitarbeiter der Dürener Nachrichten gewesen, dann aber wegen der besseren Perspektiven zur Dürener Zeitung gewechselt. Dem guten Nachwuchsjournalisten war von der DZ ein Volontariat in Aussicht gestellt worden, und in aller Regel hielt sich das renommierte Blatt auch an seine Zusagen. Etwas anders als bei unserem Zeitungs- und Zeitschriftenverlag Köln, meinte Waldhausen in durchaus kritischer Betrachtung seines Arbeitgebers. Die DZ war seriös und ihre Berichterstattung war dementsprechend. Wenn die DZ schrieb, daß der „Arme Paul“ nicht in den Ruhestand gegangen war, dann konnte man das auch getrost glauben.
Normalerweise hätte Bahn nur das Fenster öffnen brauchen und dann über die Straße hinweg mit Krupp sprechen können. Aber er wählte lieber die konventionelle Methode und griff zum Telefon. Er wählte Krupp direkt an, der als fester Freier einen eigenen Schreibtisch in der DZ-Redaktion hatte.
Krupp hatte keinerlei Kontaktprobleme mit der Tageblatt-Konkurrenz. Bereitwillig erklärte er Bahn, daß er die Informationen über den „Armen Paul“ von den Kollegen der Erkelenzer Volkszeitung bekommen hätte. Das Schwesterblatt der DZ, unmittelbar an der Stadtgrenze von Mönchengladbach gelegen, berichtete oft über die benachbarte Großstadt. „Die schreiben mehr über die Borussia als wir alle zusammen über die Alemannia“, meinte der begeisterte Fußballfan. Ein Kollege aus Erkelenz habe gehört, ein Schausteller aus Mönchengladbach wolle nicht mehr zur Annakirmes kommen und habe ihn mit allen Fakten darüber informiert. So sei man in Düren an die Geschichte gekommen, die in Mönchengladbach längst rund und schon wieder vergessen sei.
Es sei dennoch eine äußerst interessante Geschichte, die man den Dürener Lesern nicht vorenthalten wollte. „Tut’s etwa weh?“, fragte Krupp ironisch, wohl wissend, daß Bahn jede Information ungemein wurmte, die ihm andere voraus hatten.
„Nein. Warum denn auch?“ Bahn legte gereizt auf und schaute Waldhausen funkelnd an. „Da haben wir den Salat!“
„Tja, das ist halt der Vorteil der Aachener Zeitungen“, sagte der Lokalchef sachlich. Das Tageblatt als Lokalausgabe einer Kölner Tageszeitung war von Düren aus in Richtung Osten zum Rhein hin orientiert, die Dürener Zeitung ebenso wie die Dürener Nachrichten als Produkte des Zeitungsverlags Aachen in Richtung Westen nach Aachen und zum niederländischen
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