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Kirmes des Todes

Kirmes des Todes

Titel: Kirmes des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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Ende gegeben, bislang hatte sich aber auch noch niemand beschwert. Den Begriff der Sperrstunde kannte man zwar, es hielt sich nur niemand daran. Warum auch? Polizisten und Bürger, Beamte und Politiker, Schausteller und Helfer, sie alle feierten gerne und besonders ihre Kirmes.
     
     
    Doch in diesem Jahr war alles anders. Der Kurfürst von Köln, wie der Regierungspräsident auch genannt wurde, verlangte in Befürchtung der erfolgversprechenden Klage eines vielleicht ruhegestörten Zugezogenen die rigorose Einhaltung der Sperrstunde. Er legte sie auf dem Verordnungswege für jeden einzelnen Kirmestag fest.
    Vom Untergang, dem schleichenden Ende oder dem tödlichen Genickschlag für die Annakirmes war in den entrüsteten Äußerungen der Kirmesfreunde und der Schausteller die Rede. Und das alles nur wegen eines einzigen Zugezogenen. Die Stadtverwaltung und speziell Grundmann hielten sich dagegen mit einer Kritik zurück. Der Regierungspräsident habe nach Recht und Ordnung entschieden. Diese Entscheidung habe man zu akzeptieren, hieß es aus dem Rathaus. Die Stadt Düren habe sich der Entscheidung zu beugen und sie nicht zu hinterfragen. Die Annakirmes könnte auch mit dieser zeitlichen Beschränkung durch die Sperrstunde um ein oder zwei Uhr durchaus leben.
     
     
    Bahn war ein entschiedener Gegner der zeitlichen Reglementierung, wie er auch in seinen Kommentaren zum Ausdruck brachte. Prompt brach die DZ eine Lanze für die Einhaltung der Sperrstunde; weniger aus Überzeugung, sondern nur, um einen Kontrapunkt zum Tageblatt zu setzen und Bahn zu ärgern.
    „Dabei geht es dem Kurfürsten doch gar nicht um die Nachtruhe eines einzelnen“, behauptete Bahn. „Der ist in seiner Eitelkeit gekränkt, weil ihn die Stadt im letzten Jahr nicht zu ihrem Prominententag eingeladen hat.“ Bahn machte im Gespräch mit Waldhausen seine Abneigung gegenüber dem Regierungspräsidenten mehr als deutlich. „Das war für den doch eine massive Majestätsbeleidigung. So kennen wir ihn ja.“
    Im Tageblatt stellte Bahn eine Forderung an die Stadt: Wenn der Regierungspräsident zur Annakirmes in Düren kommen will, laßt ihn nicht rein, sondern schickt ihn gleich weiter gen Westen. „Die belgischen Pommes liegen ihm näher als der rheinische Frohsinn.“
     
     
    Aber nicht nur die festgezurrte Sperrstunde erhitzte die Gemüter an der Rur. Die echten Kirmesfanatiker, die das ganze Jahr über auf ihre Kirmes warteten, waren über etwas anderes schockiert: Der „Arme Paul“ kam nicht nach Düren! Das Fernbleiben des „Armen Paul“ bei der Annakirmes war das zweite Dauerthema vor der Eröffnung des Rummels.
    „Zum Armen Paul“, so hieß der Bierstand mit den wenigen Tischen und Stühlen, der jahrelang fast am Ausgang an der Elberfelder Straße zur Aachener Straße etwas versteckt hinter den anderen Geschäften gestanden hatte. Vom Weg aus sah man nur den schmalen Torbogen mit dem markanten Schriftzug zwischen den anderen Buden, durch den man über einen schmalen Weg aus Kunstgras nach hinten zum Bierstand treten konnte.
    „Zum Armen Paul“, das war eine Institution auf der Annakirmes gewesen. Das war der Treffpunkt für Kirmesbesucher, die ihre Begleiter verloren oder die sich mit Freunden zu einem Bummel verabredet hatten. Noch wichtiger war aber eine weitere Funktion der Bierbude gewesen. Beim „Armen Paul“ trafen sich spät in der Nacht die Unentwegten, die Durchmacher, die Spezialisten und die Schausteller zum Absacker. Der „Arme Paul“ war die Informationsbörse des Rummels. Hier wurden Probleme besprochen, Lösungen gefunden, Reibereien behoben und Mißverständnisse ausgeräumt.
    Ohne den „Armen Paul“ hat die Annakirmes ihr Herz verloren, kommentierte Bahn sentimental. Er vermutete, wie viele andere Kirmeskenner auch, daß der beliebte Wirt wegen der Sperrstundenregelung auf ein Kommen verzichtet hatte. Seine größten Umsätze hatte er dann gehabt, wenn die anderen Kirmesbeschicker nachts geschlossen hatten. „Ich bin so arm, ich muß nachts durchmachen“, hatte der Wirt immer scherzhaft geklagt, wenn er um vier oder fünf Uhr in der Frühe einmal eine Runde an die letzten Unverdrossenen ausschenkte.
    Davon könne auf keinen Fall die Rede sein, widersprach Grundmann, den Bahn wegen dieser Vermutung angerufen hatte. „Der ‘Arme Paul’ hat sich wohl zur Ruhe gesetzt.“ Aber man habe ja gleichwertigen Ersatz gefunden.
    „Bedauern Sie denn das Fernbleiben des ‘Armen Paul’?“, fragte Bahn weiter.

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