Kirschenküsse
gebracht.
Ein lang gezogenes »Öh« ging sogleich durch die Anwesenden, offenbar hatten auch sie einen Sportlehrer, der ihnen so etwas zweimal in der Woche vorkaute.
Aber genauso wenig, wie das Stöhnen in der Schule nützte, brachte es hier etwas. Ein schriller Pfiff von einer Trillerpfeife scheuchte uns nach draußen.
Das morgendliche Jogging sollte durch den Schlossgarten gehen, denselben Weg, den ich vorhin zum See gegangen war. Siedend heiß fiel mir ein, dass Thomas vielleicht hier draußen sein könnte. Nach dem Auftritt im Bademantel sah er mich nun in Sportzeug und beim Laufen. Schlimmer konnte es doch gar nicht mehr werden!
Keuchend und trampelnd setzten sich die Campteilnehmer in Bewegung in Richtung Wasser.
»Das ist die Höhe!«, japste Carla. »Scheuchen uns herum, obwohl wir hier Ferien haben. Was ist das nur für ein Scheißcamp!«
Niemand reagierte auf ihre Schimpftirade. Ob sie sich in ihrer Privatschule auch so aufführte? Wenn ja, dann hatte sie dort sicher nur Freunde, die genauso nervig waren wie sie.
»Wo warst du denn heute Morgen?«, fragte Anett, als sie sich neben mich zurückfallen ließ. Offenbar war sie sonst eine Sportskanone, während bei mir schon nach ein paar Minuten die Zunge so weit heraushing, dass man sie für einen rosafarbenen Schal hätte halten können.
»Hattest du etwa ein Date?«, fügte sie grinsend hinzu, als ich nicht gleich antwortete.
Bist du mir etwa nachgeschlichen?, fragte ich im Stillen, sprach es aber nicht aus.
»Ich war nur mal ein bisschen frische Luft schnappen«, wich ich keuchend aus. »Ich habe nach den Kirschbäumen gesucht, die es hier geben soll.«
»Die sind ein Stück weiter hinten, im japanischen Garten.«
Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Japanischer Garten?«
»Ja, das steht jedenfalls im Prospekt.«
Offenbar hatte sie die ganze Nacht über irgendwelche Broschüren über das Schloss gewälzt. Oder war es einfach nur so, dass ich vollkommen unvorbereitet hergekommen war? Mir hatte es gereicht, auf der Landkarte nachzuschauen, wo das Schloss lag.
»Würdest du mir den mal leihen?«, fragte ich verlegen, denn es könnte ja sein, dass Thomas bei unserem – hoffentlich – nächsten Aufeinandertreffen anfing, über das Schloss zu sprechen. Wenn ich gar nicht mithalten konnte, hielt er mich letztlich noch für dumm und oberflächlich.
»Aber klar doch! Ich bin eh mit den meisten davon schon durch.«
Ich musste sie wohl erstaunt angesehen haben, denn sie fügte hinzu: »Ich hatte sie mir vor der Reise von der Schlossinformation bestellt. Ich wollte genau wissen, wohin es geht.«
Das erklärte natürlich alles! Aber selbst wenn die Broschüren kostenlos gewesen wären, hätte ich kein Verlangen verspürt, sie zu bestellen. So eine Lektüre als Vorbereitung klang für mich eher nach Schule als nach Urlaub. Und ich war eher der spontane Typ, der sich von einem Ort überraschen ließ.
Überrascht war ich wirklich, als plötzlich ein Fuß von der Seite kam und sich vor meine Beine schob. Bevor ich es recht bemerkte, fiel ich auch schon der Länge nach hin. Gelächter ringsherum wurde laut, darunter auch eine Stimme, die mir bestens bekannt war.
Als ich mich stöhnend aufrappelte, sah ich gerade noch, wie sich Normans eklig dampfender Schuh entfernte. Klar, von wem sonst hätte dieser Angriff auch kommen sollen? Das war wohl sein Racheakt für gestern Nachmittag.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Anett und zog mich am Arm hoch.
Im gleichen Augenblick schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Wenn Thomas das gesehen hatte!
Ich blickte mich um, konnte ihn aber nicht ausmachen.
»Ja, es geht«, antwortete ich und klopfte mir den Staub von den Knien. Nicht mal eine Schramme hatten sie abbekommen. Mona meinte mal, dass ich wie eine Katze sei. Ich könnte fallen wie ich wollte und würde nie was abbekommen. Das stimmte natürlich nicht immer, aber oft. Glücklicherweise auch diesmal. Es wäre ja auch was gewesen, wenn ich die Woche mit aufgeschürften Knien hätte verbringen müssen!
Obwohl mir ein wenig Mitleid und Fürsorge von Thomas doch sehr gut gefallen hätten …
»Sag mal, kennst du den Jungen, der dir ein Bein gestellt hat?«, fragte Anett, als wir beide wieder lostrabten.
»Ja, das ist einer aus meiner Schule«, antwortete ich. »So ein ähnlicher Heini wie deine Carla.«
»Die beiden würden sicher ein gutes Paar abgeben«, entgegnete Anett. »Aber bestimmt wäre sich Carla zu fein dazu, überhaupt mit ihm zu
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