Kirschenküsse
ankommen. Ich wollte das alles nicht hören. Eine kleine Stimme in meinem Kopf sagte mir zwar, dass ich mich kindisch verhielt, aber ich konnte nicht anders. Und außerdem hatte er sich von Carla küssen lassen. Und noch dazu hatte er dabei gelächelt!
Da es aber keine andere Möglichkeit gab, den Brief loszuwerden, bedankte ich mich bei Anett und raffte mich auf.
Auf dem Weg nach unten fragte ich mich, was wohl wäre, wenn er jetzt vor der Tür stünde. Natürlich hätte er auch hochkommen können. Doch dann hätte er Carla ja offenbaren müssen, dass er auch etwas mit mir hatte.
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass nicht ein kleiner Teil von mir doch darauf hoffte, ihn vor der Tür stehen zu sehen. Aber als ich das Schloss verließ, sah ich nur Norman, der mit seinen Kumpels vor der Treppe stand. Wie es sich anhörte, sprachen sie über irgendwelchen Jungenkram, der mich nicht weiter interessierte.
Ein wenig Enttäuschung machte sich nun doch in mir breit. Natürlich war es jetzt gut, dass Thomas nicht auf der Treppe stand und mit mir sprechen wollte. Norman und die anderen hätten sich wahrscheinlich über mich totgelacht! Aber dennoch hatte ich gehofft, dass er wenigstens ein bisschen kämpfen würde. Jedenfalls, falls Carlas Kuss doch nichts zu bedeuten hatte und ihm tatsächlich etwas an mir lag.
Dem war offensichtlich nicht so.
Wütend stapfte ich zum Verwaltungsgebäude und blickte nicht nach links und rechts. Zwischendurch fragte ich mich natürlich, ob Thomas nicht am Wegesrand stand und mich beobachtete. Einmal hörte ich sogar Schritte hinter mir, doch als ich mich umwandte, sah ich, dass es sich nur um einen Mann handelte, der mit umgehängtem Fotoapparat und einem Schirm in der Hand über den Kieselweg schritt.
Kurz hielt ich inne, um zum Verwaltungsgebäude zu blicken. Das Haus mit den vielen Fachwerkstreben wirkte sehr gemütlich, die Gardinen, die vor den Fenstern hingen, waren modern. Gleich nebenan leuchtete der gelbe Postkasten.
Ein mulmiges Gefühl stieg in meinen Magen, als ich mich ihm näherte.
Das ist das Haus, in dem er wohnt, flüsterte mir eine schwärmerische Stimme zu und kurz darauf fuhr ihr eine andere, wütende in die Parade mit dem Satz: Aber er hat sich heute mit Carla getroffen und mit ihr herumgemacht!
Tja, auf welche sollte ich nun hören?
Einerseits war ich zornig, andererseits verspürte ich immer noch dieses gewisse Kribbeln im Magen.
In dem Augenblick, als ich den Briefkasten öffnete und Monas Brief einwarf, glaubte ich, mir sicher zu sein. Thomas hatte nur mit mir gespielt. Wenn ich fort war, würde er ohnehin nicht mehr an mich denken und auch seine Handynummer würde ich nicht bekommen. Ich würde verschwinden und er würde beim nächsten Camp eine andere küssen. So funktionierte die Liebe doch, oder?
Auf dem Rückweg, ohne dass ich Thomas’ Overall auch nur ansatzweise zwischen den Büschen gesehen hatte, wünschte ich mir wieder einmal, gar nicht erst hergekommen zu sein.
Ich wusste schon, warum ich diesen Liebesquatsch bisher immer blöd gefunden hatte!
Vielleicht war der Mann mit dem Regenschirm, der mir auf dem Kiesweg gefolgt war, ein Wetteromen gewesen. Ich sah den Regen, der kurz nach meiner Rückkehr auf unser Zimmer einsetzte, aber als ein Zeichen von Solidarität. Wenn ich mein Innerstes hätte beschreiben sollen, die Beschreibung des Wetters hätte gepasst.
Als Carla irgendwann ins Zimmer kam, bestens gelaunt und leise ein Liedchen vor sich hin summend, hätte ich sie am liebsten gehauen. Aber auch dazu hatten meine Arme keine Kraft mehr. Wie eine weggeworfene Puppe saß ich auf dem Bett und weggeworfen kam ich mir auch vor.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte mich Anett, als sie es offensichtlich nicht mehr ertragen konnte, mich so durchhängen zu sehen.
So, wie sie mich anschaute, würde sie wohl nicht eher lockerlassen, bis ich ihr einen Grund für die Flappe, die ich zog, genannt hatte.
Von Thomas konnte ich ihr nicht erzählen. Nein, das wäre eher was für Mona gewesen. Ich hätte mich bei ihr ausgeheult, wir wären Eis essen gegangen oder zu unserem Lieblingsplatz und dann wäre die Welt wieder in Ordnung gewesen. Aber sie war nicht hier.
Allerdings fiel mir nun ein, was ich Anett erzählen konnte, damit sie endlich Ruhe gab: von dem Brief. Ich hatte ihr das Ganze ja sowieso erzählen wollen und so konnte ich verbergen, was ich gesehen hatte und wie sehr es mir das Herz zerriss.
»Wollen wir ein Stück durchs
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