Kirschenküsse
Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
So ein Biest!
Das Schlimmste daran war aber, dass er sich den Kuss nicht angeekelt wegwischte oder ihr sagte, dass sie verschwinden solle. Vielmehr lächelte er! Carlas Hinternwackeln hatte anscheinend die gewünschte Wirkung gehabt.
Ich wäre am liebsten losgerannt und hätte ihr sämtliche Haare ausgerissen. Aber ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen.
Die Enttäuschung boxte mir härter in den Magen, als es Norman und seine Freunde je gekonnt hätten.
Eine ganze Weile turtelte sie noch mit ihm, dann winkte sie ihm zu und lief graziös Richtung Schloss. Hatte er sie jetzt auch zu einem Treffen in der Grotte eingeladen?
Ich wollte es mir gar nicht vorstellen.
Jetzt wäre der Moment gewesen, sich umzudrehen und wegzugehen, aber das konnte ich nicht. Tränen stiegen mir in die Augen und ich schalt mich selbst für einen Dummkopf.
Was hast du denn gedacht, Sina?, fragte ich mich. Ein Junge, der so gut küssen kann wie er, tanzt wohl doch nicht nur auf einer Hochzeit.
Plötzlich knackte ein Ast sehr laut unter meinen Füßen. Thomas wirbelte herum und für den Bruchteil einer Sekunde sahen wir uns in die Augen.
Da ich ihn nicht sehen lassen wollte, dass ich heulte, wirbelte ich schnell herum und rannte weg.
Er rief meinen Namen, aber ich wollte nichts hören. Und auch nicht stehen bleiben. Sollte doch der Schlossgartencasanova zu Carla gehen!
Regenwolken
Ob er mir überhaupt nachgelaufen war, wusste ich nicht. Ich wollte es auch nicht wissen. Mein Magen krampfte sich zusammen, diesmal jedoch ohne Schmetterlingsgefühle, und in meinem Kopf erschienen sämtliche Racheszenarien.
Ich könnte Carlas Kleid zerschneiden. Ich könnte auch eine Prügelei mit ihr anfangen. Jetzt war es sowieso egal, ob ich blieb oder fortgeschickt wurde.
Doch als ich in unserem Zimmer ankam, blickte ich in die Gesichter von Nicole und Anett, und die sollten nicht erfahren, was ich soeben gesehen hatte. Und dass ich ganz furchtbar in Thomas verknallt war!
»He, was schießt du denn wie ein geölter Blitz hier rein?«, fragte mich Anett, die gerade dabei war, ihre Tüte auszuleeren. Ich erkannte nur schemenhaft ein paar bunte Dinge.
Anett schien zu spüren, dass irgendetwas nicht stimmte, denn sie guckte mich prüfend an.
»Ich hatte gerade einen guten Einfall«, antwortete ich ausweichend und bemühte mich, sie nicht anzusehen. Wäre ja noch schöner, wenn sie mitkriegen würden, dass ich gerade mit den Tränen kämpfte.
Ich beugte mich über meine Reisetasche, kramte das vergilbte Briefpapier und meine Federtasche hervor und setzte mich an den Schreibtisch. Zwischendurch tropften Tränen auf das Blatt, und ich musste höllisch aufpassen, dass ich nicht mit der Tinte auf die nassen Stellen kam. Außerdem war es schwierig, mit verschwommenem Blick ordentlich zu schreiben, aber das war mir egal. Neben dem, was ich über Thomas zu sagen hatte (und dem ich ein Extrablatt widmete), versuchte ich auch, auf das einzugehen, was Monas Mutter geschrieben hatte – natürlich ohne direkt zu sagen, dass ich Mona nur wegen des Briefes ihrer Mutter schrieb. Ich gab ihr recht, dass es wirklich eine dumme Idee war, herzukommen, wo wir doch lieber zusammen durch die Stadt hätten schlendern sollen, unbelastet von modebewussten Tussis und Liebesverwirrungen.
Dennoch wies ich sie darauf hin, dass sie mir ruhig hätte sagen können, dass sie auf Ivy eifersüchtig war. Woher hätte ich das wissen sollen? Eine Kristallkugel besaß ich leider nicht. Die hätte mich sonst auch davor warnen können, dass Thomas ein weiteres Eisen im Feuer hatte …
Während ich schrieb, versiegten meine Tränen allmählich und mir wurde ein wenig leichter ums Herz. Zumindest, was Mona anging. Ich war mir darüber im Klaren, dass der Brief später ankommen würde als ich, aber das machte nichts. Natürlich wäre Campen vor ihrem Haus auch eine Möglichkeit, aber das würde ich nur im äußersten Notfall machen!
Ich schob den Brief in den Umschlag und wandte mich dann an Anett, in der Hoffnung, dass ich nicht allzu verheult aussah.
»Weißt du, wo hier ein Briefkasten ist?«
Meine Zimmergenossin sah mich ein wenig verwundert an, dann nickte sie. »Ja klar, auf dem Schlossgelände, gleich neben dem Haus des Schlossverwalters.«
Auch das noch! Da lief ich ja Gefahr, Thomas zu begegnen. Der würde mich dann fragen, warum ich weggelaufen war, oder noch schlimmer, er würde mit einer blöden Erklärung
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