Kirschroter Sommer (German Edition)
schon mal erwähnt, dass meine Mutter ein Schatz sein konnte? Gut, es ging ihr bereits zu dieser Zeit schon nur darum, mich unter die Haube zu bringen, aber in diesem Fall tat sie das ausnahmsweise mal bei dem Richtigen.
Ich sah, wie sich Elyas mir zu wandte und mich abwartend beobachtete.
»Ehm … Klar«, sagte ich und biss mir auf die Unterlippe.
Mein Blick klebte auf dem Boden, als wir gemeinsam aus dem Wohnzimmer und dann Richtung Haustür liefen. Der Weg war nicht weit bis dorthin, es waren eigentlich nur wenige Schritte, trotzdem kam es mir wie eine kilometerlange Strecke vor.
Er öffnete die Haustür und ging als erster nach draußen. Ich folgte ihm, schloss die Tür bis auf einen kleinen Spalt hinter mir und blieb unbeholfen im Türrahmen stehen. Elyas drehte sich zu mir um; seine Lippen zierte ein gehemmtes aber liebevolles Lächeln, welches ihn genauso verunsichert erscheinen ließ wie ich es war. Ich versuchte es zu erwidern, auch wenn das Ergebnis wohl ziemlich verkrampft ausgesehen haben musste, da meine Anspannung von Sekunde zu Sekunde wuchs.
Nachdem wir uns eine Weile gegenüberstanden und beide nicht wussten, wo wir hinsehen sollten, machte Elyas schließlich einen Schritt auf mich zu. Sofort begann mein Körper noch mehr verrückt zu spielen. Ich sah zu ihm auf und verlor mich in den unendlichen Tiefen seiner Augen, die mich vergessen ließen, wer und wo ich war.
Ich konnte nicht sagen, was in mich gefahren war, als ich langsam und wie paralysiert meine Hand hob und sie nach ihm ausstreckte. Schon immer war es mein Wunsch gewesen, ihn zu berühren und noch nie war ich so kurz davor, mir diese Sehnsucht zu erfüllen. Aber im letzten Moment verließ mich der Mut. Nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht sank meine Hand wieder nach unten. Innerhalb von einer Sekunde jedoch schlangen sich Elyas’ Finger um mein Handgelenk. Ganz langsam führte er meine Hand zu seiner Wange. Ich spürte, wie er sein Gesicht in meine Berührung schmiegte und sah ihn die Augen schließen. Elyas‘ Haut war noch viel weicher, als ich es mir vorgestellt hatte. Sie fühlte sich unendlich glatt und zart unter meinen Fingern an.
Trotzdem und aus Angst ließ ich meine Hand schon bald wieder neben meinen Körper sinken. Elyas öffnete die Augen und ich konnte ein Glitzern darin erkennen. Er beugte sich zu mir hinunter und drückte seine Lippen unschuldig gegen meine.
»Bis Morgen«, hauchte er.
Ich nickte nur und war zu keiner anderen Reaktion mehr fähig. Ich fühlte mich leicht wie eine Feder, war von meinen eigenen Glücksgefühlen benommen und kam mir vor, als würde ich unter Drogen stehen. Seine Mundwinkel formten noch ein letztes, zauberhaftes Lächeln, ehe er sich zögerlich umdrehte und ging.
Ich wusste nicht, wie lange ich dort stand und ihm, selbst als er längst außer Sicht war, nachsah, aber es musste eine Ewigkeit gewesen sein.
Als ich am Abend des gleichen Tages in meinem Bett lag, war ich noch immer das glücklichste Mädchen, das es auf der ganzen Welt gab. Immer wieder streichelte ich über meine Lippen, streichelte über die Stelle, wo mich seine berührt hatten, und ließ unaufhörlich diese unbegreiflichen Erlebnisse in meinem Kopf Revue passieren.
Die halbe Nacht lag ich wach und konnte kein Auge zumachen; ich war einfach zu glücklich, um zu schlafen. Es war schon fast morgens, als ich endlich und mit einem Lächeln um die Mundwinkel einschlummerte …
Der nächste Tag begann mit einem Schrecken: Ich hatte vollkommen verschlafen! Meine Eltern waren beide berufstätig und verließen schon vor mir das Haus; das morgendliche Aufstehen war seit jeher in meiner eigenen Verantwortung gelegen.
Ich sprang förmlich aus dem Bett, rannte ins Badezimmer und putzte mir die Zähne. Laut Uhr hatte die erste Unterrichtsstunde bereits begonnen. Ich legte noch mehr an Tempo zu, schlüpfte in meine Klamotten und versuchte mir gleichzeitig die Haare zu kämmen. Wie hatte ich nur ausgerechnet an diesem Tag verschlafen können? Ich fluchte vor mich hin.
Als ich mich fertig angezogen hatte, warf ich einen kurzen Blick in den Spiegel, um zu überprüfen, ob ich für eine Begegnung mit Elyas gut genug aussah. Doch diese Frage erübrigte sich, noch ehe ich sie überhaupt gestellt hatte: Nein, natürlich tat ich das nicht.
Aber daran konnte ich jetzt nichts ändern. Ich schnappte mir nur noch schnell meinen Rucksack und stürmte auch schon eilig aus dem Haus. Den ganzen Weg zur Schule legte ich rennend zurück,
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