Kirschroter Sommer (German Edition)
wobei ich das vermutlich dümmlichste Grinsen dieser Welt im Gesicht trug. Ich kam nicht dagegen an. Sobald ich an den Kuss vom Vortag dachte, verselbstständigten sich meine Gesichtsmuskeln.
Nach einer kurzen Entschuldigung bei meinem Lehrer, der mein Zuspätkommen seufzend zur Kenntnis nahm, setzte ich mich völlig außer Atem auf meinen Stuhl.
Von dem darauf folgenden Unterricht bekam ich jedoch kein einziges Wort mit. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, die Sekunden bis zur Pause zu zählen, in der ich Elyas wiedersehen würde.
Doch wenn man auf etwas wartete, konnte die Zeit grausam sein. Es fühlte sich wie ein halbes Jahrhundert an, bis die Pausenglocke endlich läutete. Das Schrillen war noch nicht verstummt, da hatte ich das Klassenzimmer schon verlassen. Ich lief durch den Flur und beschloss, zuerst nach draußen zu den Tischtennisplatten zu gehen, wo Elyas öfter mit seinen Freunden saß. Aber dort war er nicht.
Nach und nach suchte ich das gesamte Schulgebäude nach ihm ab, doch von Elyas fehlte jede Spur. Ich ließ den Kopf hängen. Ging er mir aus dem Weg? Oder war er vielleicht krank und heute überhaupt nicht in die Schule gekommen?
Alex, die mir all das hätte beantworten können, hatte heute leider erst später Unterricht.
Als die Pause fast vorüber war, gab ich die Suche auf und lehnte mich an die Wand vor meinem Klassenzimmer. Es dauerte nicht lange, da gesellte sich Sören zu mir.
»Hi, Emely!« Er grinste.
»Hallo«, murmelte ich, während mein Blick weiterhin durch den Flur schweifte, in der Hoffnung, Elyas vielleicht doch noch irgendwo zu entdecken.
»Emely?«
»Ja?«
»Ich wollte wissen, wie es dir geht«, wiederholte er seine Frage, die mir offensichtlich entgangen war.
»Ehm, ach so, ja … gut, und dir?«
»Danke, mir -«, fing er an, doch weiter hörte ich ihm nicht zu. Denn als im nächsten Augenblick die Schulglocke ertönte, sah ich ihn plötzlich.
Elyas bog mit Kevin in den von Schülern überfüllten Gang und blieb mit ihm vor einem Unterrichtsraum stehen, der ein paar Meter von meinem entfernt war. Von seiner bloßen Erscheinung völlig durch den Wind, starrte ich ihn wie angewurzelt an.
Ich hatte mir vorher so fest vorgenommen, auf ihn zuzugehen, doch jetzt wo es so weit war, wollten sich meine Beine keinen Zentimeter bewegen. Elyas wirkte abwesend, drehte leicht den Kopf und ließ seinen Blick teilnahmslos über die Schüler wandern, bis er mich schließlich erblickte und für ein paar Sekunden in seiner Bewegung verharrte.
Kein Lächeln.
Keine Wärme.
Sein Blick war eiskalt.
Gerade, als ich verunsichert den Arm heben wollte, um ihm zu winken, sah er wieder weg.
Ich war wie vor den Kopf gestoßen und wusste nicht, was vor sich ging. Doch noch ehe ich überhaupt auf die Idee kommen konnte, dem auf den Grund zu gehen, tauchte mein Klassenlehrer auf und öffnete die Tür. Ich versuchte noch einen letzten Blick durch die ins Zimmer drängende Schülermenge auf ihn zu erhaschen, aber konnte ihn unter den vielen Gesichtern nicht mehr finden.
Wenn ich schon gedacht hatte, es wäre bis zur ersten Pause schlimm gewesen, so wurde ich beim Warten auf die zweite eines Besseren belehrt.
Weder von Sören, der mich die ganze Zeit volllaberte, noch vom Unterricht drang auch nur eine Silbe zu mir durch. Ich saß einfach nur da, blickte vor mich hin und konnte mir nicht erklären, was es mit Elyas’ kaltem Blick auf sich hatte. Ständig wollte ich mir einreden, dass er mich vielleicht nicht gesehen, mich verwechselt hatte oder es womöglich einen ganz anderen logischen Grund für sein Verhalten gab. Aber im tiefsten Inneren ahnte ich bereits nichts Gutes.
Nachdem die qualvollen zwei Stunden endlich vorüber waren, verließ ich das Klassenzimmer mit dem festen Vorhaben, Elyas endlich zu finden. Irgendwie hatte ich es sogar geschafft, Sören abzuhängen und war demnach allein, als ich den gefüllten Pausenhof betrat. Und dieses Mal fand ich ihn tatsächlich.
Elyas stand, mit dem Rücken zu mir, vor Kevin, der auf der Tischtennisplatte saß. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich all meinen Mut zusammennahm und langsam auf die beiden zuging.
Kurz bevor ich sie erreichte, machte ihn Kevin mit einem Nicken in meine Richtung darauf aufmerksam, dass er Besuch bekommen würde.
Ich stand direkt hinter Elyas, als er sich zu mir umdrehte. Zuerst wirkte er überrascht mich zu sehen und seine Augen waren für den Bruchteil einer Sekunde genauso warm wie gestern. Doch mit einem
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