Kirschroter Sommer (German Edition)
Füßen und hielt mich durch ständiges Geplapper erfolgreich von meiner Textinterpretation ab, die ich bis Montag abgeben musste.
»Weißt du, Emely«, sagte Alex, »ich liebe meinen Bruder wirklich über alles, aber ich muss zugeben: Manchmal kann er ein richtiges Arschloch sein.«
Ich seufzte. Es war nicht gerade leicht, sich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Deswegen hörte ich meiner besten Freundin – sehr zu ihrem Leidwesen – nur mit einem Ohr zu.
»Er kann nicht nur eins sein, er ist eins«, verbesserte ich sie mit Blick auf den Desktop.
»Ich habe keine Erklärung, warum er sich so verhält. Eigentlich ist er überhaupt nicht so – zumindest nicht immer. Mit mir geht er zum Beispiel ganz anders um. Er kann sogar, ob du’s glaubst oder nicht, richtig lieb sein.«
Ich entschied mich dazu, es nicht zu glauben, weil das für mich die eindeutig realistischere Alternative war. Und wer wusste schließlich schon, was Alex sich heute alles rein gepfiffen hatte?
»Wahrscheinlich möchte er vor seiner Verwandtschaft einen guten Eindruck machen«, antwortete ich, und nur mal nebenbei bemerkt, eigentlich interessierte mich das ganze Thema herzlich wenig. Also, wo war ich noch mal stehen geblieben? Genau, was will der blöde Autor mit seinem Werk aussagen … Ich grübelte vor mich hin und kam zu dem Schluss, dass sich Letzterer ruhig ein bisschen idiotensicherer hätte ausdrücken können.
»Vielleicht müsstet ihr beide euch einfach nur ein bisschen besser kennen lernen?«, schlug sie – wahnsinnig, wie sie war – vor.
»Aber sicher!«, sagte ich. »Und gleich im Anschluss trete ich dem Duett-Fanclub von S arah Connor und den Söhnen Mannheims bei!« Ich hob eine Augenbraue an und Alex verzog angewidert ihr Gesicht. Wenn ich eins nicht ertragen konnte, dann den heulenden Xavier . Und das Schlimmste, was man mir antun könnte, wäre ein Duett von ihm mit Sarah Connor . Allein die Vorstellung … Ich schüttelte mich. Nichtsdestotrotz brachte mein Einwand den eindeutigen Vorteil mit sich, dass Alex nun eine Weile gedanklich mit der schauderhaften Akustik des Duetts beschäftigt war und ich mich somit wieder dem Wesentlichen widmen konnte. Gerade, als mir eine geniale Formulierung ins Gedächtnis schoss, die zumindest den Eindruck erweckte, als wäre sie intelligent und der Verfasser der Interpretation hätte sich etwas dabei gedacht, hörte ich sie schon wieder im Hintergrund plappern.
»Bla Bla Bla Bla Bla«, sagte sie – oder zumindest war es das, was ich vernahm. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, meinen genialen Geistesblitz zu notieren. »Hm«, murmelte ich, um so zu tun, als hätte ich zugehört.
»Bla Bla Bla Bla Bla Bla.«
»Hm.«
»Bla Bla Bla Bla.«
»Hm.«
»Bla Bla?«, kam es plötzlich energischer von ihr, was es mir ungemein erschwerte, sie auszublenden.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
»Klar«, erwiderte ich und schenkte meine volle Aufmerksamkeit meinem Laptop.
»Tust du überhaupt nicht!«
Ich schloss verzweifelt die Augen. Selbst mit einem Presslufthammer im Zimmer wäre ich besser vorangekommen als mit Alex.
»Kannst du dich noch an unsere Abmachung erinnern?«, fragte ich sie. »Die Bedingung für deinen Besuch war, dass du dich aufs Bett setzt und den Mund hältst!«
»Ja … Sorry …«, murmelte Alex.
»Danke!«, entgegnete ich und startete einen weiteren Versuch, mich meiner Arbeit zu widmen. Vergeblich, wie sich bald herausstellte, denn Alex schaffte es exakt drei Minuten, die Klappe zu halten. Innerlich stöhnte ich auf und schlug meinen Kopf imaginär gegen die Tischplatte.
»Aber eigentlich ist das ganz gut, weißt du? Es schadet ihm überhaupt nicht, wenn er mal auf Granit beißt.«
»Hm«, machte ich, ohne dass ihre Worte ernsthaft zu mir durchgedrungen wären. Allerdings änderte sich das schlagartig bei ihrem nächsten Satz, der mich akut dazu veranlasste, hellhörig zu werden.
»Er wird doch bei dir auf Granit beißen, oder?«
»Was ist das denn für eine bescheuerte Frage, Alex?«, fauchte ich.
»Ist ja gut, ich wollte nur sicher gehen«, sagte sie überrascht von meiner heftigen Reaktion. Gleichzeitig aber schien sie sich darüber zu freuen, dass ich ihr nun Beachtung schenkte und nutzte diese Tatsache prompt aus, um sich zu erklären. »Ich dachte ja nur … Ich meine, ich könnte dich verstehen. Wäre er nicht mein Bruder, dann hätte ich ihn mir schon längst gekrallt.« Sie grinste.
»Dann schnapp ihn dir«, sagte ich. »Ihr
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