Kirschroter Sommer (German Edition)
Elyas.
Mama . Ich erinnerte mich daran, wie sie mich bei meinem letzten Besuch zum Abschied in den Arm genommen hatte und bekam schreckliche Schmerzen bei diesem Bild.
Elyas legte mir die Hand auf den Kopf und streichelte mir über die Haare. Als er dann auch noch seine andere Hand hinzunahm und mich vorsichtig an sich ziehen wollte, zuckte ich zurück.
»Lass …«, schluchzte ich in meine Hände.
»Emely«, sagte er und hörte sich so viel näher an als zuvor, »vergiss einfach, dass ich normalerweise ein blöder Idiot bin, okay?«
Wieder schüttelte ich den Kopf; ich wollte nicht, dass er mich anfasste, und ich wollte auch nicht, dass er mich tröstete.
Er startete einen weiteren Versuch, doch als ich dieses Mal erneut zurückwich, ließ er sich nicht von seinem Vorhaben abringen. Und ich war nicht fähig, mich zu wehren. Ich spürte, wie er mir die Hände vorsichtig auf den Rücken legte und mich langsam an sich zog. Es kam mir so unrichtig, so falsch vor, trotzdem konnte ich nicht anders, als es geschehen zu lassen. Ich legte mein in den Händen verborgenes Gesicht an seine Schulter. »Es wird alles gut werden«, flüsterte er in meine Haare. Ich schluchzte leise, und er zog mich noch fester an sich.
Mein Heulen war mir peinlich, deswegen versuchte ich krampfhaft, es wieder einzustellen. Doch es gelang mir nicht; meine Nerven waren am Ende. Und so gab ich irgendwann den aussichtslosen Kampf auf und ließ mich in seinen Armen einfach fallen. Vielleicht deshalb, weil ich vergaß, wer mich im Arm hielt. Vielleicht lag es aber auch genau am Gegenteil.
In einem langsamen, gleichmäßigen Rhythmus fuhr er mit seiner Hand immerzu meinen Rücken auf und ab, und nach einer Weile fing ich an, das beruhigende Gefühl, das davon ausging, wahrzunehmen.
Als nach langer Zeit mein Schluchzen endlich abnahm, richtete er mich vorsichtig ein bisschen auf. Er zog mir meine Hände vom Gesicht und wischte mir mit seinen Daumen die Tränen von den Wangen.
»Sind sie im Neustädter Krankenhaus?«, fragte er.
Ich nickte.
»Kannst du kurz warten?«, bat er mich sanft. Ich schob seine Hände beiseite und wischte mir die restlichen Tränen selbst aus dem Gesicht. Elyas stand auf und holte sein Handy aus der Hosentasche, bevor er es aufklappte und eine Nummer eingab. Während sich die Leitung aufbaute und er darauf wartete, dass jemand abnahm, behielt er mich ständig im Auge.
»Ingo?«, hörte ich ihn schließlich sagen.
Ingo! Weshalb hatte ich überhaupt nicht an ihn gedacht? Immerhin arbeitete Elyas’ Vater im Neustädter Krankenhaus und wusste vielleicht mehr.
»Ich bin’s, Elyas. Entschuldige, dass ich dich geweckt habe, aber es ist wirklich wichtig.« Er senkte den Kopf und begann zu schildern, was passiert war. Bei jedem Wort gab es mir einen neuen Stich ins Herz. Karsten, Carla, Autounfall, rauschten mir die genannten Begriffe unaufhörlich durch den Kopf. Ich befand mich wie in einem Albtraum, aus dem ich einfach nicht aufwachte. Vielleicht, so wurde mir klar, würde ich das sogar niemals tun. Denn es war kein Albtraum, es war die Realität.
Ich zuckte zusammen, als Elyas nach ein paar Minuten wieder vor mir in die Hocke ging. Genau wie vorhin griff er nach meinen Händen. »Mein Dad fährt sofort in die Klinik und meldet sich, sobald er mehr weiß.«
Ich nickte, weil ich keine Ahnung hatte, was ich dazu sagen sollte, aber in Ingo all meine Hoffnungen legte. Auf ihn war immer Verlass. Ich hätte wissen müssen, dass er alles stehen und liegen lassen würde, um meiner Mutter zu helfen. Dadurch, dass Alex und ich früher immer im Doppelpack unterwegs waren, hatten sich auch unsere Eltern kennen gelernt, und inzwischen verband sie ebenfalls eine jahrelange Freundschaft.
»Und du«, sagte Elyas, »packst jetzt am besten ein paar Sachen zusammen.«
Ich zog die Stirn in Falten und verstand nicht, was er damit meinte.
»Ich fahre dich nach Neustadt«, sagte er.
KAPITEL 12
Fahrt ins Ungewisse
Elyas hielt Wort. Und auch wenn ich das Gefühl hatte, sein Angebot nicht annehmen zu können, überwog schließlich der Drang, schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Wir fuhren und fuhren und fuhren, doch die Strecke schien kein Ende zu nehmen.
Wahrscheinlich war es makaber, mit überhöhter Geschwindigkeit zu einem Krankenhaus zu fahren, in dem Menschen wegen eines Autounfalls lagen. Aber da war wieder mein seltsames Vertrauen in Elyas und zusätzlich die Tatsache, dass es mir gar nicht schnell genug gehen konnte.
Meine
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