Kirschroter Sommer (German Edition)
Elyas offenbar ein Fremdwort – und das in jeder Beziehung.
Er neigte den Kopf in meine Richtung und flüsterte mir zu. »Hast du mich vermisst?«
Ja.
»Elyas, die Welt dreht sich nicht nur um dich«, entgegnete ich stattdessen und blickte auf den Fernseher.
»Ich sehe das als ein Ja«, schmunzelte er. »Ich habe dich auch vermisst, Schatz.«
Eigentlich war ich ein Gegner von physischer Gewalt, doch Elyas ließ meine Ansichten ins Wanken geraten. Ich musste drei Mal tief durchatmen, um mich unter Kontrolle zu halten. Im Anschluss beschloss ich, ihn zu ignorieren. Für die Dauer von einer halben Stunde funktionierte das auch wunderbar. Doch je weiter der Film voranschritt, desto schwieriger wurde es.
Die Fernsehgeräusche wurden dauerhaft von Alex‘ leisem Knabbern untermalt. Wenn Alex nervös war, musste sie immer etwas essen. Und offensichtlich war sie in diesem Moment sehr nervös. Sie und Sebastian waren sich nicht einen Zentimeter näher gekommen, was ich von Elyas und mir inzwischen leider nicht mehr behaupten konnte. Jede Minute, die verstrich, nutzte er, um einen weiteren Millimeter an mich heran zu rutschen. Unauffällig, versteht sich.
Hätte ich den Kopf nach links in seine Richtung gedreht, hätte meine Nase fast seine Wange berührt – aber das natürlich nur, wenn er seinen Blick ausnahmsweise auf den Fernseher und nicht auf mich gerichtet hätte.
Ich dagegen hatte seit Beginn des Films nichts an meiner Körperhaltung geändert, abgesehen davon, dass ich mich immer mehr verkrampfte. Aber da Körpersprache zu lesen offenbar überhaupt nicht sein Talent war, interessierte ihn das natürlich herzlich wenig.
Mittlerweile blieben mir auch kaum noch Fluchtmöglichkeiten. Ich saß wirklich bald auf Sebastians Schoß. Man konnte sagen, dass ich mich leicht unbehaglich fühlte. Ganz im Gegensatz zu Elyas, der wie gewohnt selbstbewusst an die Sache – in diesem Fall mich – heranging.
Ich konnte sogar seine Körperwärme spüren. Zunächst nur an meiner Seite, doch sie schien sich immer weiter auszubreiten. Genauso wie sein Geruch. Anfangs hatte ich ihn kaum wahrgenommen, doch inzwischen roch ich nichts anderes mehr. Als Elyas dem noch eins draufsetzte und den Kopf so zur Seite neigte, dass ich seine Stirn an meinen Haaren spüren konnte, wurde es mir endgültig zu viel. »Wenn du näher an Sebastian sitzen möchtest, dann können wir gerne Plätze tauschen!«
Elyas schmunzelte. »Ehrlich gesagt finde ich es gerade sehr gemütlich, so wie es ist …«
»Ja, das sehe ich!«
Da er anscheinend nicht im Traum daran dachte, seine Position zu verändern, übernahm ich das Ruder kurzerhand selbst und stand auf. Elyas‘ Augen folgten mir skeptisch, als ich über seine Beine stieg und mich auf seiner anderen Seite wieder niederließ, wo es mittlerweile ziemlich viel Platz gab. Der Abstand zu ihm reichte für meinen Geschmack trotzdem noch nicht aus, aber immerhin trennten uns nun mindestens zwanzig Zentimeter.
Elyas‘ Stirn war über meinen Umzug immer noch in Falten gelegt, bis er schließlich seufzte. »Tja, Sebastian«, sagte er. »Sieht ganz danach aus, als müssten jetzt wir beide miteinander kuscheln.«
»Alter, wenn du mir auch nur einen Millimeter näher kommst!«, drohte dieser und brachte mich zum Lachen. Entspannt lehnte ich mich zurück und konnte mir nun endlich in aller Ruhe den Film ansehen. Zu meiner Überraschung machte Elyas keinerlei Anstalten, die Lücke zwischen uns wieder zu schließen. Der Film allerdings schien ihn genauso wenig zu interessieren wie zuvor. Sein Blick war einzig und allein auf mich gerichtet, und man konnte wahrhaft nicht behaupten, dass er sich um Heimlichkeit bemühte.
Wie konnte er nur ein derartiges Selbstbewusstsein an den Tag legen? Ich hätte niemals den Mut aufgebracht, jemanden so offensichtlich zu beobachten. Er dagegen tat es einfach und schämte sich nicht im Geringsten.
Aber wahrscheinlich war das ein ganz normales Verhalten, wenn man so aussah wie er. Die Bestätigung – in seinem Fall Hochglanz-Ischen – kam täglich von selbst. Und Männer definierten sich nun einmal über drei Dinge: Schwanzlänge, Frauen und Statussymbole. Genau in dieser Reihenfolge.
Nichtsdestotrotz gefiel mir mein neuer Sitzplatz um Längen besser als der alte. Was er jedoch leider erschwerte, war die Aufgabe, Sebastian im Blick zu behalten. Andauernd musste ich an Elyas vorbeischielen, was dieser offenbar falsch interpretierte, denn er schenkte mir jedes Mal ein
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