Kismet Knight
den Ausdruck »Hüter der vier Himmelsrichtungen« und noch einige weitere aufzuschnappen. Ich hatte den Eindruck, dass die vier Punkte, an denen er innerhalb des Kreises stehen blieb, Norden, Süden, Osten und Westen darstellten.
Dann zog er einen edelsteinbesetzten Stab aus einer Tasche seines Mantels und hob ihn in jeder der vier Richtungen in die Luft. Jedes Mal brach ein Strahl von blendend weißem Licht ausder Spitze des Stabs hervor, und das Licht schien in der Luft in der Schwebe zu bleiben – eine senkrecht stehende Linie.
Ich war in Versuchung, mir die Augen zu reiben, weil ich nicht glauben konnte, was ich sah. Aber mir fiel noch rechtzeitig ein, wie viel Mascara Nola mir auf die Wimpern geklatscht hatte, und so hielt ich im letzten Moment noch inne. Ich wollte weder wie ein Waschbär noch wie Alice Cooper aussehen.
Als Devereux den Kreis vollendet hatte, waren es vier senkrecht leuchtende Lichtstreifen.
Auf ein Zeichen von Devereux hin traten alle Vampire des innersten Rings einen Schritt vorwärts, so dass sie in einer Linie mit den schwebenden Lichtern standen. Sobald der Schein die neben ihnen stehenden Vampire berührte, begann er, sich um den Kreis herum auszubreiten, und sprang auch auf die Ringe weiter außen über, einen nach dem anderen. Bald hatte der weiße Glanz sich in ein vielfarbiges Leuchten verwandelt, das alle paar Sekunden wechselte. Die winzigen von den Kerzen aufsteigenden Lichtgarben wurden heller, und das Medaillon, das Devereux um den Hals trug, strahlte wie ein Scheinwerfer.
Ich senkte den Blick, um meine Augen vor dem grellen Licht zu schützen, aber ich konnte noch erkennen, dass die Vampire des innersten Rings sich an den Händen gefasst hatten. Und in diesem Augenblick begann das Licht zu zucken und zu pulsieren, und umschloss jede Person in dem Kreis, bis nur noch reine Energie zugegen zu sein schien.
Devereux drehte sich zu mir um und streckte mir die Hand entgegen.
Ich warf Amara einen ängstlichen Blick zu. Sie lächelte und nickte ermutigend.
Meine Füße schienen einen eigenen Willen entwickelt zu haben, und ich stellte fest, dass ich aufgestanden war und Schrittfür Schritt zu der Stelle hinüberging, wo er auf mich wartete. Ich streckte meine Hand aus, und in dem Augenblick, in dem unsere Finger sich berührten, ertönte ein scharfes Krachen, das mich an das Knallen einer Peitsche erinnerte, und das Licht explodierte und schien uns beide zu verschlingen.
Und dann war da gar nichts mehr.
Kapitel 18
Ich wachte nackt in meinem Bett auf – nackt bis auf den Pentagrammanhänger.
Jedenfalls ging ich davon aus, dass es mein Bett war; ich konnte nämlich die Augen nicht öffnen. Ich hob beide Hände zum Gesicht, um der Sache nachzugehen, und entdeckte dort die Ursache des Problems. Die gesamte Wimperntusche, die ich am Abend zuvor getragen hatte, war zu gummiartigen Klumpen verschmolzen und klebte mir die Wimpern der Ober- und der Unterlider höchst wirkungsvoll zusammen.
Ich verbrachte ein paar Minuten damit, sie auseinanderzusortieren, öffnete und schloss die Augen, um ihre Funktionsfähigkeit zu überprüfen, und stellte dabei fest, dass ich mir zu irgendeinem Zeitpunkt eben doch die Augen gerieben haben musste, denn ein großer schwarzer Fleck prangte auf einer Seite meines Zeigefingers. Ich wusste genau, dass ein Blick in den Spiegel mir weitere Informationen dieses Typs liefern würde.
Aber immerhin und dankenswerterweise lag ich in meinem eigenen Bett.
Ich starrte zur Decke hinauf, lauschte auf die Geräusche, die durch das Fenster zu mir hereindrangen, und freute mich über die Hinweise darauf, dass zumindest für manche Leute die ganz normale Wirklichkeit noch existierte. Rasenflächen wurden gemäht, Hunde ausgeführt, Begrüßungen von Vorgarten zuVorgarten gerufen; Autos fuhren vorbei, aus deren Radios Musik dröhnte, und Kinder spielten. Die Alltagswelt, der auch ich einmal angehört hatte – die für mich so selbstverständlich gewesen war –, ging ganz offensichtlich noch ihren gewohnten Gang, als wäre nichts Weltbewegendes passiert.
Bruchstücke von Erinnerungen aus der vergangenen Nacht trieben durch mein Hirn, hüpften und schwankten wie Äpfel auf der Wasseroberfläche und warteten darauf, dass ich einen erwischte und hineinbiss.
Biss. Ich fuhr hoch, eine Hand um jede Brust geschlossen, und senkte sehr vorsichtig den Blick auf sie hinunter, denn ich fürchtete mich vor dem, was ich dort sehen würde. Aber statt der eingestochenen und
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