Kismet Knight
»Mach, dass du hier rüberkommst, sonst erledige ich das für dich! Kann natürlich passieren, dass ich dir dabei den Arm ausrenke.«
Es folgte ein wieherndes Geräusch, das höchstwahrscheinlich Gelächter war.
Bryce lächelte wie ein stolzer Vater, der sein frühreifes Kind beobachtet, und schien sich über den Zwischenfall bestens zu amüsieren.
Dann wandte er sich einem der bärtigen Vampire zu, der mit einem Gefäß an ihn herangetreten war und ihm den Inhalt zeigte.
Eine Bewegung in den Spiegeln erregte meine Aufmerksamkeit.
Ein Mann, der nicht in dem dramatischen Vampirstil gekleidetwar, sondern altmodische Hosen und eine Weste trug, kam durch den Raum gestelzt und blieb am Rand des Geschehens stehen, um es zu beobachten.
In seinen Händen hielt er Geige und Bogen.
Dann begann er, mit dem Geigenbogen zu gestikulieren; sein Gesicht verzog sich zu einer ärgerlichen Grimasse, sein Mund formte lautlose Worte.
Keiner der Vampire in der Mitte des Saals reagierte auf ihn. Offenbar konnten sie ihn nicht hören. Mir gelang es ebenso wenig.
Ich drehte den Kopf, um den Mann selbst sehen zu können und nicht nur sein Spiegelbild. Er war nicht da. Als ich wieder zum Spiegel hinübersah, stand er genau dort, wo ich ihn auch zuvor ausgemacht hatte.
Ich wiederholte das Experiment mit dem gleichen Ergebnis.
Was zum Teufel …? Bin ich die Einzige hier, die den Typen sieht?
Der Körpersprache nach zu urteilen, wurde der Geiger immer ärgerlicher, je länger man ihn ignorierte.
Er ging zu Raleigh hinüber, der gerade dabei war, einen großen schwarzen Stein an seinen Platz in dem entstehenden Kreis zu wuchten, und stieß ihn mit dem Geigenbogen an … der geradewegs durch Raleighs Körper hindurchging. Das unbefriedigende Ergebnis machte den Mann unverkennbar noch wütender; er stampfte mit dem Fuß auf und schleuderte seinen Bogen zu Boden. Als er sich bückte, um ihn wieder aufzuheben, trafen unsere Blicke sich im Spiegel. Ein überraschter Ausdruck huschte über sein Gesicht; einen Augenblick später war er verschwunden.
Oh nein! Das habe ich nicht gesehen. Bryce muss irgendetwas mit meiner Wahrnehmung angestellt haben. Bitte keine paranormalenPhänomene mehr! Ich weigere mich, noch irgendetwas neues Unglaubliches zu akzeptieren
.
In diesem Augenblick schickte Bryce den bärtigen Vampir fort und drehte sich zu mir um. Er legte mir einen Arm um die Taille, und ich spürte einen winzigen Luftzug an meiner Wange; eine Sekunde später befanden wir uns inmitten der Party im großen Saal des Gebäudes.
Ich hätte ihn beinahe gefragt, wie er es anstellte, zu kommen und zu gehen, ohne in irgendjemanden hineinzurennen, aber ich hielt mich eben noch rechtzeitig zurück. Ich wollte nicht, dass er mein nervöses Geplapper am Ende noch als wirkliches Interesse an seiner Person auffasste.
Ich reckte den Hals, suchte meine unmittelbare Umgebung nach Brother Luther ab und war sehr erleichtert, ihn nirgends zu sehen. Von Lieutenant Bullock hatte ich nichts gehört, und Alan war oben und konnte nicht helfen, und so hoffte ich sehr, der Verrückte würde nicht auftauchen. Nach dem, was Bryce gesagt hatte, hielt der heutige Abend auch ohne ihn schon hässliche Erfahrungen für uns bereit.
Hässliche Erfahrungen … und offenbar auch einen Geist in einem Spiegel.
Eine Stimme wie Samt trieb durch meine Gedanken. »Geliebte.«
Ich setzte zum Sprechen an. »Dev…«
»Sprich in der Stille mit mir, in deinen Gedanken.«
Ich verschwendete keine Zeit mehr an die Frage, ob ich mich telepathisch mit ihm verständigen konnte oder nicht. Ich schickte einen Schwall von Gedanken, Empfindungen und Bildern in seine Richtung, alles, was ich über Brother Luther, über Bryces Vorhaben, über das für Devereux vorbereitete Ritual und über eine Person namens Luzifer wusste.
»Ich werde nicht zulassen, dass du zu Schaden kommst. Lass niemanden wissen, dass du mit mir gesprochen hast. Ich werde in deiner Nähe sein, komme, was wolle!«
Ich spürte eine seltsame Leere und wusste, dass er wieder fort war.
Bryces Lippen bewegten sich; ich musste davon ausgehen, dass er mit mir redete. Ich versuchte, die Worte zu verstehen in der Hoffnung, er würde mir etwas Nützliches mitteilen.
»… warum er sich für jemanden wie dich interessieren sollte.«
»Bitte?«, platzte ich heraus; jetzt ärgerte es mich, dass ich die erste Hälfte des Satzes verpasst hatte.
Ich legte meine Hände hinter die Ohren und tat so, als wäre die laute Musik schuld
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