Kismet Knight
Gesichter nur noch einige Zentimeter voneinander entfernt waren. Dann flüsterte sie mir laut zu: »Wenn das Blut auf diesem Hemd dem Blut des vermissten Mädchens entspricht, werden wir Ihnen noch eine ganze Menge Fragen stellen. Vielleicht haben Sie das Hemd nicht einfach gefunden. Vielleicht hatten Sie es schon länger. Vielleicht haben Sie etwas zu verbergen. Vielleicht besorge ich mir ja einen Durchsuchungsbefehl und zwinge Sie dazu, mir Ihre Unterlagen auszuhändigen.«
Bei jedem »Vielleicht« betonte sie die erste Silbe und zog sie in die Länge, und jedes Mal klang ihre Stimme bei dem Wort höher.
Das Herz hämmerte mir in der Brust, und ich spürte, dass mir Schweiß auf die Stirn trat. Ich hatte noch nie erlebt, dass jemand mir so aggressiv entgegentrat und mir drohte, und ich wusste nicht, was ich entgegnen sollte, also sagte ich gar nichts. Was sie noch mehr zu ärgern schien.
Ich wusste, dass sie mich nicht zwingen konnte, ihr Informationenzu liefern, und ich ging davon aus, dass ihr das ebenfalls klar war.
»Wilson!«, bellte Lieutenant Bullock zu dem langen dünnen Beamten hinüber, der in unserer Nähe herumhing. »Sorgen Sie dafür, dass Sie alle nötigen Informationen über Frau Doktor hier bekommen, ich will sie jederzeit kontaktieren können!«
»Ich habe alles Nötige«, erwiderte er mit einem kalten Blick in meine Richtung.
Sie musterte mich mit schmalen Augen und knurrte: »Und Sie verlassen die Stadt nicht!«
Und damit ging sie wie ein feuriger Komet, der einen Schweif von Meteoriten hinter sich herzieht – in diesem Fall all ihre Polizeibeamten.
Alan kam zu mir herüber, setzte sich neben mich auf das Sofa und tätschelte meine Hand. »Jetzt wissen Sie auch, warum ihr Spitzname ›Bull‹ ist.«
Ich ließ mich nach hinten gegen die Polster sinken und meine Schultern hängen. Mein Mund war so trocken, dass ich mehrmals ansetzen musste, bevor ich sprechen konnte.
»Was war hier eigentlich gerade los? Ich habe nichts weiter getan, als etwas zu finden und es zu melden. Ich war eine musterhafte Staatsbürgerin. Warum bin ich deswegen jetzt plötzlich verdächtig?«
»Das sind Sie gar nicht. Sie stehen alle unter Strom, weil sie von den jüngsten Mordfällen keinen lösen konnten und auch das Mädchen nicht gefunden haben. Das hier war der erste echte Hinweis, den sie seit Tagen bekommen haben. Lieutenant Bullock nimmt diesen Fall persönlich, weil sie das erste Opfer gekannt hat. Es war ein Freund von ihr, und sie ist ein sehr loyaler Mensch. Lassen Sie sich von ihr nicht einschüchtern. Ich versuche, als Puffer zu fungieren.«
Ich drehte den Kopf zu ihm herum. »Was ist mit dem Hemd? Glauben Sie, Emerald trug es? Warum soll jemand es bei mir abladen?«
Er zuckte mit den Achseln. »Nachdem Sie sie gestern ins Krankenhaus gebracht hatten, drückte ich mich auf der Intensivstation herum – in der Hoffnung, ich würde einen Blick auf sie werfen können, nachdem sie sie versorgt hatten. Es hat sich ausgezahlt, denn als sie die Transfusion eingeleitet hatten, ist die Schwester mal eine Minute lang verschwunden, und ich konnte mir Emerald ansehen. Das Nachthemd in dem Umschlag sah ganz genauso aus wie das, was Emerald anhatte. Ob das ihr Blut ist oder nicht, das können uns nur die Leute vom Labor sagen, aber ich gehe einmal davon aus, dass es so ist.«
Er studierte seine Notizen, blätterte geistesabwesend darin herum und sah mir dann auf die ernsthafte Art in die Augen, die er so gut beherrschte.
»Sie waren diejenige, die Emerald ins Krankenhaus brachte, also will man Ihnen vielleicht mit dem blutigen Nachthemd etwas sagen. Können Sie sich vorstellen, wer Ihnen möglicherweise auf diese Art etwas mitteilen will? Irgendein ungewöhnlich ernster Fall bei Ihren Patienten? Jemand, der Sie verletzen will? Haben Sie irgendwelche Drohungen bekommen?«
Er kaute auf dem Ende seines Stifts herum und blickte mir erwartungsvoll ins Gesicht.
Sobald er die ernsten Fälle bei meinen Patienten erwähnt hatte, war mir der Besuch von Bryce und Raleigh wieder eingefallen, aber ich war mir nicht sicher, wie viel davon ich Alan erzählen – wie weit ich ihm vertrauen konnte. Und wenn ich Midnight bei alldem erwähnte, wäre das ganz entschieden ein Vertrauensbruch. Ich beschloss, mich auf eine alte therapeutische Technik zurückzuziehen: Wenn du dir nicht sicher bist, sageinfach gar nichts. Ich log ja nicht wirklich, wenn ich Informationen für mich behielt. Therapeuten müssen Urteilsvermögen
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