Kiss and kill: Thriller (German Edition)
»Wieso überrascht mich das nicht?«, raunte sie leise.
»Sie versuchen, das Thema zu wechseln, Nicole. Warum? Sie haben mir von Ihren Eltern erzählt, von Ihrem Bruder und Ihrem Stiefvater. Aber über Ihren verstorbenen Ehemann haben Sie sehr wenig gesagt.«
Nic rieb die Hände auf den Schenkeln, sprang auf und lief zur Glasfront des Wintergartens, von wo aus man in den Wald blickte. Die Nachmittagssonne warf lange Schatten über den Boden, welche die Silhouetten der Bäume extragroß abbildeten. Um die Eichen und Ahornbäume, deren Zweige in dieser Jahreszeit kahl waren, wucherte dichtes Unterholz.
»Wie soll es mir helfen, mit der Entführung und der Folter klarzukommen, wenn ich über Greg rede?« Nic wollte nicht über ihre Ehe sprechen, nicht einmal mit einer Psychiaterin. Nicht schon wieder.
»Nicole, ich erwarte von Ihnen, dass Sie mir Dinge erzählen, die ein gewisses Maß an Vertrauen voraussetzen.« Dr. Meng stand auf und kam zu Nic.
Nic drehte sich zu ihr um. »Es ist nicht so, dass ich Ihnen nicht vertraue, nur nicht voll und ganz. Ich glaube nicht, dass ich irgendjemandem voll und ganz vertraue.«
»Nicht einmal Griffin?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht.«
»Bisher haben wir mehrere Techniken ausprobiert, und keine scheint Ihnen zu helfen. Aber wir stehen auch noch am Anfang, und einige der Techniken sollten wir erneut versuchen. Ich habe allerdings eine sehr spezielle Vorgehensweise, die meinen Patienten oft hilft. Vertrauen Sie mir genug, um mir zu erlauben, sie bei Ihnen anzuwenden?«
Nic zuckte mit den Schultern. »Klar, wieso nicht? Wir haben die Beschreibung meiner Alpträume probiert, bei der ich Bilder benutze, die ich kontrollieren kann, und ich habe immer noch Alpträume. Nicht mehr und nicht weniger als vorher. Also, wie sieht diese Spezialmethode aus, die Sie bei mir anwenden wollen?«
»Darf ich Ihre Hände anfassen?«, fragte Dr. Meng.
Nic stutzte. »Sie wollen meine Hände halten?«
Dr. Meng nickte. »Nur für ein paar Minuten.«
»Und was soll das bringen?«
»Ich kann so erspüren, was Sie fühlen.«
»Wie bitte?«
Dr. Meng streckte ihr die Hände hin. »Bitte, Nicole, lassen Sie sich von mir helfen.«
Nic zögerte. Sie war unsicher und überlegte, welche Erklärung es für das geben könnte, was Dr. Meng behauptete. Einzig die echte Sorge in den dunklen Augen der Psychiaterin überzeugte sie, und so hob Nic die Hände und legte sie in Dr. Mengs.
Nic blickte auf ihrer beider Hände. Dr. Meng hielt ihre so sanft, als wären sie zarte Blumen, die sehr leicht zerbrechen könnten. Auf einmal überkam Nic eine wundersame Ruhe. Ihr Körper entspannte sich. Sie blickte in Dr. Mengs Gesicht auf.
Yvette Meng aber hatte die Augen geschlossen und schien in einer Art Trance.
»Dr. Meng?«
Eine volle Minute blieb sie stumm, dann seufzte sie und ließ Nics Hände los.
Das Gefühl von Ruhe und Entspannung indes blieb. »Was ist passiert? Was war das?«
Dr. Meng öffnete die Augen. »Erzählen Sie mir, wie Gregory gestorben ist und warum Sie sich die Schuld an seinem Tod geben.«
So viel zu »ruhig und entspannt«! Nic war sofort wieder angespannt, zugleich jedoch überkam sie ein überwältigender Drang, ehrlich über ihre Gefühle zu Greg zu reden. »Greg hat sich umgebracht. Sich erschossen.« Nic wandte das Gesicht von Dr. Meng ab und konzentrierte sich auf eine einzelne Kiefer, die groß und stolz aus den viel älteren und breiteren Bäumen aufragte. »Ich dachte, ich würde meinen Mann kennen. Ja, wir hatten Probleme, aber ich dachte, wir beide arbeiten zu viel, gehen zu sehr in unseren Jobs auf. Ich dachte, wenn wir ein Baby kriegen, wenn ich mehr Zeit für ihn habe, für uns …«
»Es war nicht Ihre Schuld«, sagte Dr. Meng. »Sie müssen aufhören, sich die Schuld zu geben.«
»Greg hatte Schwierigkeiten, und ich wusste es nicht. Ich war seine Frau. Ich hätte instinktiv spüren müssen, dass er Hilfe brauchte.« Nic überkreuzte die Arme vor der Brust, die Ellbogen umfangend, als wollte sie ihren Körper schützen. »Er hätte zu mir kommen sollen und mir sagen, dass er … er … o Gott, selbst jetzt, nach all der Zeit, kann ich immer noch nicht die Wahrheit gestehen.«
»Was ist denn die Wahrheit?«
Nic lachte verbittert. »Mein junger, gutaussehender, ehrgeiziger Ehemann, der Drogenpolizist mit der makellosen Akte, war drogenabhängig geworden.«
Sie hatte Gregs Sünde laut ausgesprochen, und die Erde hatte sich nicht unter ihr aufgetan.
»Wieso hatte ich das
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