Kissed by an Angel
Food-Court ab. Tis the Season, wo Ivy seit anderthalb Jahren jobbte, lag genau gegenüber.
Der Laden gehörte zwei älteren Schwestern, deren Auswahl an Kostümen, Dekoartikeln, Karten und Schnickschnack genauso exzentrisch wie ihr Geschäftsstil war. I.illian und Betty gaben kaum Ware zurück, deshalb schienen sämtliche Jahreszeiten und Feiertage in diesem kleinen Winkel der Welt aufeinanderzutreffen. Vampirkostüme hingen neben der Nationalfahne, Osterhühner ruhten neben den jüdischen siebenarmigen Kerzenleuchtern sowie Truthähnen aus Pinienzapfen und Spock-Ohren von der letzten Star-Trek-Convention.
Kurz vor eins, während sie auf Suzanne und Beth wartete, sah Ivy sich die Sonderbestellungen des Tages an. Sie waren wie immer auf Klebezettel gekritzelt und hingen an der Wand. Einen der Zettel las Ivy zweimal, bevor sie ihn abnahm. Kann nicht sein, dachte sie, kann nicht sein. Gab es zwei Jungs, die Tristan Carruthers hießen?
»Lillian, was soll das bedeuten? >Wird abgeholt: Aufb. bl. Wal und 25 TSB«
Lillian kniff die Augen zusammen und warf einen kurzen Blick auf den Zettel. Sie hatte eine Lesebrille, aber die baumelte meistens an einer Kette auf ihrer Brust.
»Na, fünfundzwanzig Teller, Servietten und Becher, das weißt du doch. Ach stimmt ja, das ist für Tristan Carruthers - eine Bestellung für die Party der Schwimmmannschaft. Das andere heißt >aufblasbarer blauer Wal<. Du weißt doch, diese gasgefüllten Luftballons. Liegt alles schon bereit. Er hat sich heute Morgen extra noch mal telefonisch nach der Bestellung erkundigt.«
»Trist - Mr Carruthers hat angerufen?«
Jetzt griff Lillian nach ihrer Brille. Sie setzte sie auf die Nase und sah Ivy scharf an. »Mr Carruthers? - Er hat dich nicht Miss Lyons genannt«, sagte sie.
»Warum soll er mich denn irgendwie nennen?«, fragte sich Ivy laut. »Also, ich meine, warum kam überhaupt mein Name ins Spiel?«
»Er wollte wissen, wann du arbeitest. Ich hab ihm gesagt, dass du zwischen eins und Viertel vor zwei Mittagspause machst, ansonsten aber bis sechs da bist.« Sie lächelte Ivy an. »Und ich hab ein paar nette Sachen über dich gesagt, Liebes.«
»Ein paar nette Sachen?«
»Ich hab ihm erzählt, was für ein liebes Mädchen du bist, und dass es eine Schande ist, dass jemand wie du keinen passenden Kavalier finden kann.«
Ivy fuhr zusammen, aber Lillian hatte ihre Brille wieder abgenommen, deshalb bemerkte sie es nicht.
»Er kam letzte Woche in den Laden, um die Bestellung aufzugeben«, fuhr Lillian fort. »Er ist wirklich ein toller Specht.«
»Wenn schon, dann toller Hecht, Lillian.«
»Wie bitte?«
»Tristan ist ein ziemlich toller Hecht.«
»Na, endlich gibt sie es zu!«, sagte Suzanne, die in dem Moment in den Laden trat. Hinter ihr kam Beth.
»Gut gemacht, Lillian!«
Die alte Dame zwinkerte Suzanne zu und Ivy klebte den Zettel wieder an die Wand und kramte in ihren Taschen nach Geld.
»Bild dir nicht ein, dass wir dich in Ruhe essen lassen«, warnte Suzanne sie. »Das ist ein Verhör.«
Zwanzig Minuten später hatte Beth ihren Burrito fast aufgegessen und Suzanne sich durch ihr Teriyaki Chicken gekämpft. Ivy jedoch hatte ihre Pizza noch nicht angerührt.
»Woher soll ich das wissen?«, sagte sie und winkte ab. »Glaubt ihr, ich hätte in seinen Sachen rumgeschnüffelt?« Sie hatten jedes Detail, das Ivy an Gregorys Zimmer aufgefallen war, durchgekaut und wieder durchgekaut und interpretiert und noch mal interpretiert.
»Gut, du wohnst ja schließlich erst einen Tag dort«, stellte Suzanne fest. »Aber vielleicht heute Abend. Du musst rauskriegen, wo er heute Abend hingeht. Hat er Hausarrest? Hat er -«
Ivy schnappte sich eine Frühlingsrolle und stopfte sie Suzanne in den Mund. »Jetzt ist Beth mit Reden dran«, erklärte sie.
»Oh, ist schon in Ordnung«, meinte Beth. »Ich find das interessant.«
Ivy schlug Beths Ordner auf. »Warum liest du uns nicht eine deiner neuen Geschichten vor«, schlug sie vor, »bevor mich Suzanne endgültig in den Wahnsinn treibt.«
Beth warf Suzanne einen Blick zu, dann zog sie fröhlich einen Papierstapel hervor. »Die neue werde ich am Montag in der Theater-AG vorlesen. Ich habe was Neues ausprobiert: in medias res. Das bedeutet, die Handlung setzt unvermittelt ein.«
Ivy nickte ihr ermutigend zu und biss zum ersten Mal in ihre Pizza.
»>Sie hielt sich die Pistole an die Brust<«, las Beth. »>Hart und traurig, kalt und unnachgiebig. Fotos von ihm. Verblasste Fotos von ihm - von ihm
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