Kissed by an Angel
Augen an.
»Nach der Schule. Mein Trainer überlässt uns die Schwimmhalle. Bestimmt.«
Ihre Hände, ihre Augen, alles an ihr war reglos und beobachtete ihn.
»Es ist ein tolles Gefühl, Ivy. Kannst du dir vorstellen, auf einem See zu treiben, um dich herum Bäume und die große Kuppel des blauen Himmels über dir? Du treibst auf der Wasseroberfläche, die Sonne glitzert auf deinen Fingerspitzen und Zehen. Weißt du, wie es sich anfühlt, im Meer zu schwimmen? Wenn man sich richtig ins Zeug legt und sich dann von einer Welle davontragen lässt -«
Ohne dass es ihm bewusst war, hob er sie an den Armen hoch. Sie hatte Gänsehaut.
»Tut mir leid«, sagte er und ließ sie schnell los. »Tut mir leid. Ich hab mich hinreißen lassen.«
»Schon in Ordnung«, meinte sie, konnte ihm aber nicht mehr in die Augen sehen.
Er überlegte, wovor sie mehr Angst hatte: vor dem Wasser oder vor ihm.
Wahrscheinlich vor ihm, dachte er, und er hatte keine Ahnung, wie er das ändern sollte. »Ich geb mir Mühe, dass es dir Spaß macht, so wie ich es mit den Kindern im Ferienlager mache, denen ich Schwimmen beibringe«, fügte Tristan aufmunternd hinzu. »Lass es dir durch den Kopf gehen, ja?«
Sie nickte.
Sie fühlte sich in seiner Gegenwart eindeutig unwohl. Er hätte sich gern bei ihr dafür entschuldigt, dass er auf dem Flur in sie hineingerannt und bei der Hochzeit ihrer Mutter aufgekreuzt war, dass er sie wegen ihrer Katze angerufen hatte. Er hätte ihr gern versprochen, sie nicht mehr zu belästigen, wenn es ihr damit besser ginge. Aber da sie plötzlich so müde und verwirrt aussah, sagte er am besten gar nichts mehr.
»Ich werde mich gut um Ella kümmern«, versprach er noch. »Wenn sich etwas ändert und du sie zurückhaben willst, ruf mich einfach an. Wenn du sie besuchen möchtest, muss ich ja nicht dabei sein. Okay?«
Ivy sah ihn fragend an.
»Na gut«, sagte er und stand auf. »Dienstags und freitags bin ich mit Kochen dran. Ich kümmere mich mal lieber ums Abendessen.«
»Was kochst du denn?«, fragte Ivy.
»Leberragout. Ach warte, nein, Moment, das ist ja Ellas Dose.«
Es war ein müder Scherz, aber sie lächelte.
»Du kannst so lange hierbleiben und mit Ella spielen, wie du willst«, schlug er ihr vor.
»Danke.«
Er ging Richtung Küche, um sie mit der Katze allein zu lassen. Doch bevor er die Tür erreicht hatte, hörte er sie sagen: »Tschüs, Ella.«
Einen Augenblick später fiel die Haustür hinter ihr ins Schloss.
Als Ivy aus der Umkleide kam, war Tristan schon im Wasser. Der Trainer hatte sie in die Schwimmhalle gelassen. Sie hatte erwartet, dass der ältere Mann sie ungläubig anstarren würde - »Du willst mir erzählen, dass du nicht schwimmen kannst?« Aber sein Gesicht, das runzlig wie eine Rosine war, wirkte freundlich und er stellte keine Fragen. Er begrüßte sie und ging in sein Büro zurück.
Ivy hatte eine Woche mit der Entscheidung gerungen. In ihren Träumen war sie geschwommen, Kilometer um Kilometer in manchen Nächten. Als sie Tristan erklärt hatte, sie wolle Schwimmen lernen, fingen seine Augen zu leuchten an. Ivy war sich dennoch ziemlich sicher, dass sie ihm erfolgreich jede romantische Hoffnung ausgetrieben hatte - nach Suzannes Aussage traf er sich jetzt mit zwei anderen Mädchen.
Aber sie betrachtete ihn als Freund. Egal, ob es um die Sache mit dem Sprungbrett ging oder darum, dass er Ella aufgenommen und Ivy geholfen hatte, ihrer größten Angst ins Gesicht zu sehen - er war da, wenn sie ihn brauchte, so wie noch kein Junge für sie dagewesen war. Wie ein wahrer Freund eben.
Jetzt beobachtete sie ihn, wie er Bahn um Bahn schwamm. Sein muskulöser Körper glitt durchs Wasser; es trug ihn, während er sich schnell und kraftvoll darin bewegte. Als er im Schmetterlingsstil schwamm, kamen seine Arme wie Flügel aus dem Wasser, er war wie Musik, die man sehen konnte - stark, rhythmisch, elegant.
Ivy sah ein paar Minuten zu, dann fiel ihr ein, warum sie gekommen war. Sie ging zum flachen Ende des Beckens und starrte ins Wasser. Dann setzte sie sich hin und tauchte die Beine ein. Es war warm. Beruhigend. Trotzdem fror sie am ganzen Körper.
Sie biss die Zähne zusammen und ließ sich ins Wasser gleiten. Es reichte ihr bis zu den Schultern. Sie stellte sich vor, wie es ihr bis zum Hals steigen würde, bis zum Mund. Sie schloss die Augen, hielt sich am Beckenrand fest und versuchte, die aufsteigende Angst zu unterdrücken.
Wasserengel, betete sie, lass mich nicht im Stich. Ich
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