Kissed by an Angel
Name gekritzelt: Tristan.
Ivy nahm ein Stück schwarze Kreide und zeichnete noch zwei Olivenzähne dazu. Jetzt sah er vollkommen wie der Junge aus, der einen Achtjährigen nach einem richtig harten Tag liebevoll aufgemuntert hatte. Ivy erinnerte sich an Tristans Gesichtsausdruck, als sie die Tür zum Lagerraum aufgestoßen hatte. Sie warf den Kopf zurück und lachte.
Jetzt absagen? Wen wollte sie eigentlich an der Nase herumführen?
Tristan war überzeugt, dass er Ivy an diesem ersten Trainingstag verschreckt hatte, doch sie kam wieder, und von der zweiten Lektion an war er sehr zurückhaltend. Er berührte sie kaum, er trainierte sie wie ein Profi und verabredete sich weiter mit Wie-hieß-sie-doch-gleich und dem anderen Mädchen. Aber es fiel ihm jeden Tag schwerer, mit Ivy allein zu sein, so dicht neben ihr zu stehen und auf ein Signal von ihr zu hoffen, dass sie mehr als Training und Freundschaft wollte.
»Ich glaube, jetzt ist es so weit, Ella«, meinte er nach zwei frustrierenden Trainingswochen. »Sie zeigt kein Interesse und ich halte es nicht mehr aus. Ich schlage Ivy vor, sich bei einem Schwimmverein anzumelden.«
Ella schnurrte.
»Und dann such ich mir ein Kloster, das eine Schwimmmannschaft hat.«
Am nächsten Tag zog er bewusst keine Badesachen an, sondern steckte sich eine Broschüre des örtlichen Schwimmvereins in die Tasche. Er marschierte aus dem Bademeisterbüro und blieb stehen.
Ivy war nicht da. Sie hat es vergessen, dachte er, dann bemerkte er Ivys Handtuch und Haarklammer am tiefen Ende des Beckens. »Ivy!«
Er rannte zum Beckenrand und sah sie reglos auf dem Boden des vier Meter tiefen Beckens liegen. »Oh Gott!«
Er sprang sofort ins Wasser, tauchte mit kräftigen Zügen zu ihr hinunter, zog sie an die Oberfläche und schwamm so schnell wie möglich mit ihr an den Beckenrand. Es war schwierig - sie war wieder zu sich gekommen und wehrte sich. Seine Kleider zogen ihn zusätzlich nach unten. Schließlich hievte er Ivy über den Rand und stemmte sich neben ihr hoch.
»Was in aller Welt -?«, fragte sie, als sie nebeneinander saßen.
Sie hustete nicht, prustete nicht, war nicht außer Atem. Sie starrte ihn bloß an, sein triefendes Hemd, die Jeans, die an ihm klebten, seine heruntergerutschten Socken. Tristan starrte zurück, dann schleuderte er seine triefenden Schuhe so weit weg, wie er konnte, über etliche Reihen der Tribüne. »Was hattest du vor?«, fragte sie.
»Was hattest du vor?«
Sie öffnete die Hand, um ihm eine kleine Kupfermünze zu zeigen. »Ich bin danach getaucht.«
Wut überkam ihn.»Die erste Regel beim Schwimmen, Ivy, lautet: Geh niemals, niemals, allein ins Wasser!«
Aber ich musste es tun, Tristan! Ich musste herausfinden,ob ich mich ohne dich meinem Albtraum stellen kann. Ob ich es schaffe, ohne dass mein - mein Rettungsschwimmer in der Nähe ist. Ich konnte es. Ich hab es geschafft«, verkündete sie und ein strahlendes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Das Haar hing ihr zersaust über die Schultern. Ihre Augen lächelten ihn an, sie hatten die Farbe eines smaragdgrünen Meers im hellen Sonnenlicht.
Dann zwinkerte sie ihm zu. »Ging es dir darum - ein Rettungsschwimmer zu sein,ein Held?«
»Nein, Ivy«, antwortete er ruhig und stand auf. »Ich hab nur einmal mehr bewiesen, dass ich für alle ein Held bin, bloß für dich nicht.«
»Warte«, sagte sie, aber er hatte sich schon abgewandt. »Warte mal!«
Er kam nicht weit, denn sie hängte sich mit ihrem Gewicht an sein Bein.
»Du sollst warten.«
Er versuchte, sich loszumachen, aber sie klammerte sich an ihm fest. »Soll ich dir sagen, dass du ein Held bist?«
Er schnitt eine Grimasse. »Vermutlich nicht. Vermutlich dachte ich, ich bekomme damit, was ich will. Hat aber nicht geklappt.«
»Und, was willst du?«, fragte sie.
Warum sollte er es ihr jetzt sagen?
»Was Trockenes anziehen«, erwiderte er. »Ich hab noch Trainingssachen im Spind.«
»Gut.« Sie ließ sein Bein los. Aber bevor er davongehen konnte, nahm sie seine Hand. Sie hielt sie einen Augenblick in ihren Händen, dann streifte sie mit den Lippen über seine Fingerspitzen.
Sie sah zu ihm hoch, zuckte leicht mit den Schultern, dann ließ sie seine Hand los.
Doch nun hielt er sie fest, schob seine Finger zwischen ihre. Sie zögerte einen Moment, dann drückte sie ihren Kopf gegen seine Hand. Konnte sie es spüren - wie selbst ihre kleinste Berührung seinen Puls zum Rasen brachte?
Er kniete sich hin. Nahm ihre andere Hand,
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