KISSED
vielleicht dein Shirt ausleihen kann, falls du es heute nicht trägst.«
»Um es in Schweiß zu tränken? Ich glaube kaum.«
»Bitte.« Ich erkläre ihm das mit Victoriana und dem Schuh. »Ich kann nicht mit dem schmuddeligen Shirt aufkreuzen, das ich die ganze Nacht anhatte.«
Er grinst. »Ich habe eine Idee. Wie wäre es, wenn ich den Schuh ausliefere. Ich sehe sowieso besser aus.«
»Keine Chance. Sie hat mich darum gebeten. Außerdem arbeitest du jetzt. Du arbeitest erst seit … acht Uhr fünfundzwanzig. Beginnt deine Schicht nicht um acht?«
»Willst du mich etwa erpressen?«
»Was für ein hässliches Wort. Ich möchte nur, dass dumir dein Shirt leihst, als Freund, genau wie ich dein Geheimnis bewahre, als Freund.«
»Gut.« Er zieht das rote Hollister-Poloshirt aus seiner Sporttasche. »Um elf will ich es wieder zurück.«
»Einverstanden.« Ich nehme es und mache mich auf den Weg in die Lobby. »Danke.«
Als Nächstes suche ich meine Freundin Marisol, eines der Zimmermädchen. Ich überrede sie dazu, dass sie mich in einem Zimmer duschen lässt, dessen Gäste schon ausgecheckt haben. Ich dusche und wasche meine Haare mit dem Shampoo, das sie zurückgelassen haben. Ryans Shirt ist an manchen Stellen zu weit, und ich wünschte, ich hätte Parfum oder wenigstens saubere Unterwäsche. Aber ich sehe trotzdem gut aus.
Ich weiß, es ist verrückt, wegen einer Prinzessin so durchzudrehen. Aber hey, man wird doch wohl noch hoffen dürfen. Ich meine, ich bin hier in South Beach, der Fun-Metropole der Welt, und alles, was ich tue, ist Schuhe reparieren und Träume träumen, die ich mir nicht leisten kann. Warum sollte ich es nicht wenigstens versuchen?
6
Der Aufzug braucht fast fünf Minuten, bis er die Penthouse-Ebene erreicht. Ich klopfe und stehe herum wie ein Stalker, bis mich ein Mount Everest von Bodyguard fragt, was ich hier zu suchen habe.
»Ich war … ich arbeite im Hotel. Ich bringe der Prinzessin ihren Schuh.« Ich halte ihn hoch.
»Isch nehme das!« Der Bodyguard grapscht nach dem Riemen des Schuhs und ist im Begriff, die Tür wieder zuzumachen.
»Aber ich … sie …« Ich versage völlig. Wahrscheinlich schläft sie noch. Ist sie wirklich schon hier am Ende, meine einzige große Chance?
Seine Hand liegt auf dem Türknauf. »Wurdest du bezahlt?«
Ich nicke. »Aber …«
»Dann verschwinde!« Und die Tür knallt zu.
Das war’s. Ich mache mich auf den Weg, zurück zum Aufzug. Es war dumm von mir zu glauben, ich könnte mit der Prinzessin über etwas anderes reden als über ihren gerissenen Riemen. Ich meine, wer bin ich denn? Ein armer Trottel, der in einem Hotel arbeitet. Ich sollte mich glücklich schätzen, ihr überhaupt begegnet zu sein. Ich werde wahrscheinlich noch meinen Enkeln davon erzählen. Und dann werden sie glauben, ich sei jetzt vollends dement.
Trotzdem, mir ist danach, nach unten zu gehen und auf irgendetwas mit dem Hammer einzudreschen, bis es völlig kaputt ist. Victoriana wollte, dass ich den Schuh persönlich abliefere. Ich habe mich echt ins Zeug gelegt. Es ist nicht richtig, dass mich der Bodyguard nicht zu ihr lässt. Er ist schließlich nichts Besseres. Er ist nur ein Bodyguard, so wie ich nur der Typ von der Schuhreparatur bin. Er ist nicht besser als …
»Pardonnez-moi?« Mr. Everest ist wieder da.
»Was wollen Sie denn noch?«
»Die Prinzessin will etwas, nischt isch. Sie sagt, isch soll disch in ihre Suite bitten.«
»Sie wollte also, dass ich die Schuhe selbst abgebe?«
»Oui .«
»Ich hatte also recht? Ich habe nicht einfach nur gelogen, um die Prinzessin zu sehen?«
»Ja, ja. Sagte isch das nischt bereits?«
Ich genieße das. »Ich hatte also recht, und Sie haben … wie würde man da noch mal genau sagen …?«
Das Gesicht des Bodyguards läuft violett an. »Jetzt ’ör mal gut zu, du kleines Würstschen. Wenn du die Prinzessin nischt sehen willst, richte isch ihr gern aus, dass du das Gebäude schon verlassen ’ast.«
»Okay.« Ich folge ihm in die Suite.
Ich bin noch nie zuvor in der Royal Suite gewesen, aber sie ist größer als unsere Wohnung. Jede waagerechte Fläche ist mit Blumen dekoriert, sodass es ein bisschen wie auf einer Beerdigung aussieht, nur ohne Leiche. Es gibt sogar ein Aquarium, in dem ein kleiner Hai zwischen Seeanemonen herumschwimmt. Der Bodyguard führt mich durch ein Zimmer, dann durch noch eins, bis wir schließlich ein Wohnzimmer erreichen, das in Blau und Weiß gehalten ist, damit es zu dem wolkenlosen Himmel
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