KISSED
respektlos gewesen, dann sage ich: »Euer Hoheit, ich danke Euch, dass Ihr mir den Schuh zur Reparatur gebracht habt. Ich hoffe, alles war zu Eurer Zufriedenheit. Ich muss jetzt zurück an die Arbeit.«
»Du glaubst mir nischt?«
»Ich glaube, du machst dich über mich lustig. Ich weiß, dass ich nur ein armer Schlucker bin. Dich langweilen dieClubs wohl inzwischen.« Ich wende mich ab, aber das ist schwierig.
»Non. Nein. Ich mache misch nischt lustig über disch. Bitte. Du musst mir glauben.«
Sie greift nach einem französischen Liebesroman, der neben ihr auf dem Tisch liegt und zieht einen Stapel Fotos und Papiere daraus hervor. »Schau.«
Ich werfe einen Blick auf das Foto, das sie mir hinhält. Es zeigt einen Kerl, der ungefähr so alt ist wie ich. Er sieht gut aus, hat leuchtend rotes Haar und ein großes Muttermal oder so über dem rechten Auge. Er trägt eine Uniform und lächelt.
»Das ist Philippe, vor dem Fluch.« Victoria zeigt auf das Muttermal. »Das ist das berühmte alorische Geburtsmal. Viele große Könige ’aben es.«
Sie gibt mir das Foto und zeigt mir ein zweites, einen Frosch mit einem roten Streifen auf dem Kopf. Genau wie der Prinz hat er einen großen Fleck über dem Auge.
»Das ist er jetzt«, sagt sie, und ich sehe Tränen an ihren Wimpern glitzern.
Er sieht ziemlich genau so aus, wie der Prinz aussehen würde, wenn er ein Frosch wäre. Ich blicke in Victorianas feuchte Augen und verwerfe den Gedanken, sie könnte mich auf den Arm nehmen. Vielmehr ist es wohl so, dass sie von jemandem an der Nase herumgeführt wird. »Wahrscheinlich hat jemand den Prinzen gekidnappt und hält ihn irgendwo gefangen. Der Frosch ist bestimmt nur bemalt.«
»Das ’atten wir zuerst auch gedacht. Deshalb konsultierten wir eine alorische ’exe, eine mächtige Zauberin, die eine magische Ohrkapsel hat. Sie kann mit Tieren kommunizieren – zumindest mit Tieren, die früher menschlich waren. Isch ’abe mit meinem Bruder gesprochen.«
»Du hast mit einem Frosch gesprochen?«
»Oui. Isch ’abe ihm Fragen gestellt, Fragen, die nur Philippe beantworten kann. Fragen über die Ge’eimnisse, die wir als Kinder ’atten. Isch zweifle nischt daran, dass er dieser Frosch ist. Und sieh dir mal seine Augen an.«
Ich betrachte wieder das Foto. Die Augen des Froschs haben in der Tat dasselbe Meerblau wie Victorianas.
Stopp! Natürlich ist der Frosch nicht ihr Bruder. Ihr Bruder ist tot und sie ist vor Kummer verrückt. Armes Mädchen. Das zeigt nur, dass auch Reiche ihre Probleme haben.
»Es war Philippe selbst, der mir die traurigen Fakten dieses Fluches erzählte«, sagt Victoriana. »Sie ’at ihn in einen Frosch verwandelt, und er kann den Fluch nur durch den Kuss einer Person brechen, die Liebe im ’erzen ’at.«
»Liebe?« Es kommt mir komisch vor, dass Liebe die Lösung ist, wenn der Fluch von einem Feind verhängt wurde. Aber andererseits, ist nicht alles an dieser Sache völlig absurd? Offensichtlich profitieren diese Leute von Victorianas Naivität oder – sehen wir den Tatsachen ins Auge – ihrer Dummheit.
Die Prinzessin zuckt die Schultern. »Isch glaube, das ist bei allen Flüchen so. Wir – meine Eltern und isch – dachten,dass das Problem leicht gelöst werden könnte. Meine Bruder ist gut aussehend, er ist der Thronfolger, und er ist eine Playboy. Alle Mädschen stehen auf ihn und wären glücklich, ihn küssen zu dürfen, selbst wenn er ein Frosch ist.«
»Und warum habt ihr das dann nicht so gemacht?« Es hätte bewiesen, dass alles nur ein Scherz war und die Sache wäre beendet gewesen.
Sie seufzt. »Bevor wir das tun konnten, hat er verschwunden, wie isch dir schon gesagt ’abe. Paff!« Sie fährt mit der Hand durch die Luft. »Mein Vater jagte die, die den Fluch ausgesprochen ’at. Sieglinde. Sie sagte ihm, dass meine Bruder auf einem Frachter sei, der nach Miami unterwegs ist. Und dass wir würden ihn niemals finden und dass er würde niemals König. Aber die ’exe versprach, den Fluch unter einer Bedingung rückgängisch zu machen.«
Sie starrt auf ihre Schuhe.
»Wie lautet die Bedingung?«
»Dass isch misch einverstandön erkläre, den Erben des zalkenbourgischen Throns zu ’eiraten.« Sie zieht einen Zeitungsausschnitt zwischen den Fotos hervor. Der Artikel ist auf Französisch, aber daneben ist ein Bild von einem blonden Mann. Sein Gesicht ist zu einem grausamen Lächeln verzogen, er hält etwas, das wie ein Bajonett aussieht, über einen Jungen, der am Boden
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