KISSED
warten. Als sie mich sehen, stecken sie die Köpfe zusammen und schnattern. Obwohl ich meine Ohrstöpsel trage, kann ich sie nicht verstehen, sie müssen wohl ihre eigene Schwanensprache haben. Als ich näher komme, ergreift einer das Wort.
»Wir haben die Information, die du brauchst.«
»Du meinst, wo der Frosch ist?«
»Nicht direkt.« Der Schwan schaut zu Boden. »Aber wir kennen jemanden, der jemanden kennt, der den Aufenthaltsort der Amphibie kennen könnte.«
»Oh, na ja, das klingt vielversprechend.«
»Du musst mit mir kommen, wir treffen ihn am Hafen.«
»Am Hafen von Miami?«
»Nein, am Hafen von Neapel. – Natürlich am Hafen von Miami!«
»Es ist nur …« Ich stelle mir vor, wie ich neben einem Schwan die Straße entlangspaziere, den ganzen Weg bis hinunter zum Hafen von Miami.
Aber mit dem Unhang könnte ich in Sekunden dort sein. Ich überlege, ob ich dem Schwan sagen soll, dass ich ihn mitnehme. Doch da fällt mir wieder ein, dass Victoriana mich davor gewarnt hat, jemand anderen den Umhang benutzen zu lassen. »Klar … ähm … aber ich werde wohl ein Taxi nehmen. Vielleicht kannst du fliegen, und wir treffen uns dort. Schwäne können doch fliegen oder?«
Der Schwan wirft mir einen mitleidigen Blick zu und sagt: »Ich bin übrigens Harry. Ich werde mit dir kommen. Wir sehen uns dann am Hafeneingang, und ich führe dich zum Treffpunkt.«
Zum Treffpunkt. Klingt wie aus einem Agentenfilm.
»Klar«, sage ich. »Ich muss nur kurz was holen.«
»Du machst jetzt aber nicht die Flatter, oder?« Er lacht. »War nur ein Vogelwitz.«
»Nein, ich mache nicht die Flatter. Ich brauche bloß Geld fürs Taxi. Ich werde dort sein.« Ich blicke Harry an, der schlank ist und dicht beieinanderstehende Augen hat. Die Schwäne sehen sich alle ziemlich ähnlich. Warum fliegst du nicht einfach schon mal los? Das Taxi wird wahrscheinlich schneller fahren, als du fliegen kannst.«
Der Schwan lacht. »Das bezweifle ich.«
»Das werden wir dann ja sehen.« Ich muss mir den Schwan vom Hals schaffen. »Lass uns ein Wettrennen machen.«
Harry nickt mit dem Kopf. »Herausforderung angenommen.« Und damit watschelt er zur Tür.
Ich laufe auf meinen Laden zu, werfe aber einen Blick durch das vordere Hotelfenster. Ich sehe, wie Harry mit den Flügeln schlägt. Langsam erhebt er sich über die Autos, über das Hotel. Seine weißen Flügel bilden ein Herz vor dem Dunkel der Nacht.
Ich gehe in den Laden und hole den Umhang. Ich wickle mich darin ein und wünsche mich auf den Biscayne Boulevard, einen Block nördlich des Hafens, damit der Schwan nicht sieht, wie ich Gestalt annehme.
Und dann bin ich da.
Bei Nacht ist der Hafen Furcht einflößend. Tagsüber sorgen hier Passagiere von Kreuzfahrtschiffen und Containerfahrzeuge mit Gütern für Leben. Aber wenn die Dämmerung hereinbricht, wird auf Nachtmodus umgestellt. Ein paar Schritte von mir entfernt geht eine Frau über den Biscayne Boulevard. Mein plötzliches Erscheinen nimmt sie nicht einmal wahr. Dann fährt ein Auto heran, und jemand lässt das Fenster herunter. Sie steigt ein und sie brausen davon.
Ich gehe los, meine Turnschuhe erzeugen ein dumpfes Geräusch auf dem Pflaster. Zu meiner Linken liegt der Biscayne Boulevard, zu meiner Rechten nichts alsschwarzes Wasser. Etwas bewegt sich, und ich bleibe stehen. Doch es ist nur der Mond, der in der Bucht glitzert. Eine Wolke schiebt sich vor ihn, und die Nacht ist wieder vollkommen dunkel. Schon einen Block entfernt sehe ich das Licht einer einzelnen Taschenlampe im Hafen. Drogendealer? Was tue ich hier eigentlich?
Quatsch. Drogendealer tragen keine Taschenlampen mit sich herum. Wahrscheinlich ein Wachmann. Dadurch fühle ich mich auch nicht besser, denn ein Wachmann würde mich nicht hineinlassen. Trotzdem stapfe ich auf den Eingang zu.
Der Umhang hat mich auf der Straßenseite abgesetzt, die gegenüber vom Hafen liegt. Ich lege ihn zusammen, stecke ihn in meinen Rucksack und warte, bis ein einzelnes Auto vorbeigefahren ist. Sobald die Luft rein ist, überquere ich die Straße.
Ein Röhren in der Finsternis. Dann das Knattern eines Auspuffs und die heiße Luft von Miami. Gerade noch rechtzeitig springe ich auf den Mittelstreifen zurück. Ein Motorrad. Seine Scheinwerfer sind aus, und beinahe erfasst es mich, als es über die Kreuzung braust. Dann biegt es scharf links in die Hafeneinfahrt ab. Ich kann das Gesicht des Fahrers nicht erkennen, aber er erinnert mich flüchtig an Arnold Schwarzenegger in
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