KISSED
Papageienkäfig. Die Sonne Miamis lässt ihre Strahlen durch die neun Meter hohen Fenster an der Vorderseite des Raumes fallen. Wo sie auf den Marmorfußboden treffen, funkelt dieser wie pures Gold. Außerdem bin ich abgelenkt, weil der Manager, Mr. Farnesworth, direkt in meine Richtungblickt. Ich glaube, er will zu uns kommen, aber dann fährt sein Kopf herum, und ich sehe auch gleich, warum. Sämtliche Hotelpagen, die hier arbeiten, kommen herein, in jeder Hand einen Louis-Vuitton-Koffer. Schnell wie eine Krabbe bewege ich mich seitwärts und finde mich wie geplant hinter einer Palme im Blumenkübel wieder. Dabei male ich mir aus, was diese Koffer enthalten. Die Schuhe. Prada, Stuart Weitzman, Dolce & Gabbana, Jimmy Choo und Alexander McQueen!
Ryan hat recht. Ich bin nicht normal. Kein Mensch würde in einem Augenblick wie diesem an Schuhe denken.
Unter dem Gepäck bemerke ich auch eine Hundetransportbox. Unnötig zu erwähnen, dass im Coral Reef keine Hunde erlaubt sind, aber ich nehme an, das sagt man einer Prinzessin nicht so einfach. Es ist eine große Transportbox, und ich werfe einen Blick durch die Gitterstäbe. Ich hätte einen Pudel oder einen Afghanischen Windhund erwartet, aber stattdessen starren mich traurige Augen aus dem schwarzbraunen Gesicht eines Bloodhounds an.
»Hallo Süßer«, sage ich.
Der Hund knurrt.
»Na fabelhaft.« Ryan hat ebenfalls hinter der Palme Posten bezogen. »Jetzt hat er uns entdeckt.«
Er meint Farnesworth, der seinen Blick lange genug von der Tür abgewandt hat, um uns hinter der Palme auszumachen. »Ihr! Was habt ihr hier zu suchen?«
»Wir machen gerade Pause«, sagt Ryan.
»Macht eure Pause woanders. Ich will nicht, dass ihr die Prinzessin belästigt.«
»Excusez-moi?«, unterbricht uns eine Stimme. »Sind Sie der ’otelmanager?«
Farnesworth dreht sich um und tritt einen Schritt zurück, dann noch einen, direkt auf meinen Fuß. Ich versuche zurückzuspringen. Das ist sie!
Farnesworth, der noch immer auf meinem Fuß steht, stottert, und es gelingt ihm nicht, sinnvolle Wörter zu bilden. Ich frage mich, ob sie wohl ein Zimmermädchen zum Aufwischen schicken, wenn er sich in die Hose pinkelt.
»Ähm …«, bringt er heraus.
Ich verbeuge mich und ziehe Ryan mit mir nach unten. Ich versuche wirklich, nicht auf ihre Schuhe zu starren, aber aus diesem Blickwinkel sind sie das Einzige, was ich sehe. Roberto Cavalli. Italienische schwarz-weiße Plateauschuhe mit Schrägriemen, geflochtener Lederoberseite und Absätzen so hoch wie der Eiffelturm.
»’allo?« Sie versucht noch immer, mit Farnesworth Kontakt aufzunehmen. Farnesworth keucht, als wäre er gerade am Strand entlanggejoggt. Er schwitzt auch. Sie beugt sich zu mir herunter und bedeutet mir, mich wieder aufzurichten. Und da sehe ich sie zum ersten Mal richtig.
Ich habe viele Bilder gesehen, aber sie haben mich nicht auf die Wirklichkeit vorbereitet. Ihre Schönheit flasht mich, und das will was heißen, wenn man bedenkt, dass ich in South Beach lebe, wo »atemberaubend« der neue Durchschnitt ist. Sie hat langes weißblondes Haar, das sich bishinunter zu ihrer perfekt geformten Hüfte lockt. Obwohl sie ihre körperlichen Vorzüge mit eng anliegender Kleidung und einem kurzen Rock betont, wirkt sie durch ihre großen Augen, die blauer sind als der Ozean da draußen, vollkommen unschuldig, wie eine Disney-Prinzessin.
»Hübscher Hund«, bringe ich heraus.
Oh, was bin ich nur für ein Idiot.
Sie nickt und macht den Käfig auf. Der Hund flitzt heraus und schaut sich nach etwas um, woran er schnüffeln kann, aber auf ein Zeichen der Prinzessin hin kommt er sofort zu ihr zurück und setzt sich neben sie. Sie streicht ihm über den Kopf und wendet sich dann an mich.
»Ist er…« – sie nickt zu Farnesworth hinüber – »… nischt in Ordnung?«
»Normalerweise ist er ganz okay.«
Farnesworth’ Mund versucht, sich zu bewegen. »Sie sind … Sie sind …«
»Isch bin Victoriana.«
Menschen sind wie Schuhe. Manche sind wie Sneakers oder Flipflops, andere wie hochhackige Pumps. Prinzessin Victoriana ist wie die Schuhe, die sie anhat – nicht besonders praktisch, aber schön.
Farnesworth findet seine Stimme wieder. »Ich habe nicht erwartet, dass Sie… ich meine, ich dachte, ich würde es mit Ihrer Kammerfrau zu tun haben oder… so.«
»Sie ist da’inten.« Sie deutet auf eine Frau in ihrem Gefolge. Sie hat kurzes schwarzes Haar und trägt einen schlichten Rock und Schuhe, die wie die alorische
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