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Kite

Kite

Titel: Kite
Autoren: Blake Crouch
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nachvollziehen …«
    »Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, mich zu kennen«, sagte er und zog sich eine Gummischürze an.
    Er brachte einen Infusionsständer auf Rollen heran. Darauf befand sich auch ein Tablett mit medizinischen Geräten, einer Handvoll Spritzen und mehreren Glasfläschchen.
    Er trat geräuschlos an den Tisch heran und blickte lächelnd auf mich herab. Ohne das lange Haar, das ich mit ihm assoziierte, sah er total anders aus.
    Er legte seinen Handrücken auf meine Stirn. Ich versuchte, mich abzuwenden – ohne Erfolg.
    »Die große Jack Daniels, wie sie leibt und lebt. Sie sind wirklich schön.«
    »Und Sie sind widerlich.«
    »Wollen Sie mich etwa verärgern? Jetzt, wo Sie so verwundbar sind?«
    »Lassen Sie meine Freunde frei, dann sage ich Ihnen, was für ein Schatz Sie sind.«
    Er berührte wieder meine Wange. Ich musste mich überwinden, nicht zusammenzuzucken. Im Augenblick war meine Wut noch größer als meine Angst. Aber ich hatte keine Ahnung, wie lang das noch anhalten würde. Ich hatte mich noch nie so verletzlich gefühlt, und ich wusste, dass es nur noch schlimmer werden konnte.
    »Wie fühlen Sie sich?«, fragte er.
    »Schrecklich.«
    »Sie sind wie weit mit Ihrer Schwangerschaft? Achtunddreißigste Woche?«
    »Ja, warum?«
    »Ich glaube, es ist Zeit, das Baby aus Ihnen rauszuholen. Was meinen Sie?«
    »Lassen Sie verdammt noch mal die Finger von mir.«
    »Aber, aber.« Er nahm eine Spritze vom Tablett und stieß die Nadel in eine Ampulle.
    »Was ist das?«, fragte ich und spürte, wie mein Herz schneller ging.
    »Pitocin.«
    Ich schloss die Augen. Das war ein Albtraum. Das konnte nicht sein.
    »Es ist eine synthetische Form eines Hormons in Ihrem Körper – Oxytocin. Man verwendet es, wenn man Geburten einleiten …«
    »Das weiß ich schon.«
    »Die Wehen sollten bald einsetzen. Werden Sie es schaffen, das Baby in den nächsten paar Stunden selbst herauszupressen?«
    Mir kamen die Tränen.
    »Luther, um Gottes willen. Nicht auf diese Art.«
    »Betteln passt nicht zu Ihnen, Jack. Lassen Sie sich doch nicht so gehen.«
    Er füllte die Spritze und legte sie beiseite. Dann befestigte er eine Blutdruckmanschette an meinem Arm, pumpte sie auf und blickte auf die Anzeige.
    Er schüttelte den Kopf. »Schlimmer, als ich dachte.«
    »Wie hoch ist er?«, fragte ich.
    »Einhundertfünfundsiebzig zu einhundertzehn. Kein Wunder, dass Sie einen Anfall hatten.« Er löste den Klettverschluss. »Wenn Sie bitte einen Augenblick stillhalten.«
    Ehe ich merkte, was geschah, spürte ich die Nadel in einer Vene nahe am Handgelenk.
    »Ich beginne jetzt eine Infusion. Wehren Sie sich nicht, Jack. Ist Ihnen eigentlich klar, wie sehr Ihr Leben im Moment in meiner Hand liegt?«
    Eine Welle der Angst schwappte über mich hinweg, die weit über die Sorge um meine Freunde und meine eigene Sicherheit hinausging. In den letzten neun Monaten hatte ich nur an mich selbst gedacht und völlig vergessen, dass ein Mensch in mir heranwuchs.
    Ein richtiges Lebewesen. Wertvoll. Hilflos. Vollkommen unschuldig.
    Ein Mensch, der eines Tages laufen und sprechen würde. Der Vorlieben und Abneigungen, Träume und Ziele haben würde. Und ein eigenes Leben.
    Und dieser Mensch würde das Licht der Welt in den Händen dieses Irren erblicken.
    »Hören Sie zu, Luther …«
    »Seien Sie still, Jack.«
    »Werden Sie meinem Baby etwas antun?«
    »Nein.«
    »Sie lügen.«
    »Sie müssen mir vertrauen, Jack. Sind Sie bereit?«
    »Wozu?«
    »Für die Wehen.« Er steckte die Nadel in die Injektionskanüle. »Ich gebe Ihnen eine hohe Dosis, Jack. Ich muss dafür sorgen, dass Sie bereit sind. Es wird schnell und heftig sein.«
    Während er mir die Injektion verpasste, starrte ich in seine schwarzen, gefühllosen Augen.
    »Sie sind dehydriert«, sagte er und holte eine Wasserflasche hervor.
    Bevor ich sie sah, hatte ich gar nicht gemerkt, was für einen großen Durst ich hatte. Er hielt sie an meine Lippen, und ich trank gierig, bis er sie wegzog.
    Drei Minuten später ging es los.
    Die erste Wehe fühlte sich wie ein Periodenkrampf direkt oberhalb meines Schambeins an. Der messerscharfe Schmerz durchfuhr meinen ganzen Lendenbereich von Hüfte zu Hüfte.
    Und von da an wurde es schlimmer – eine langsame Explosion zwischen meinen Beinen. Es hatte kaum angefangen, und ich wollte schon sterben.
    Ich hatte zwar gewusst, dass es wegen meiner Präeklampsie zu einer frühzeitigen Einleitung der Geburt kommen konnte, aber die Aussicht
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