Klack: Roman (German Edition)
Holzpferdchen gesessen zu haben, deren Farbenpracht längst abgestoßen und traurig verblichen war. Zu einer schrillen, klagenden Drehorgelmusik drehten sie sich seit Generationen immer im Kreis, als käme auf dieser Welt nichts Neues mehr.
Ich grinste altklug, stolz, kein Kind mehr zu sein, und schlenderte mit unbeholfener Lässigkeit zur Raupenbahn, die mich magisch anzog, weil ich für sie eigentlich noch zu jung war. In meinem Elternhaus galt die Raupenbahn als etwas Unanständiges, Verruchtes, dem Kinder aus gutem Hause nicht zu nahe kommen durften. Die Raupe war unmanierlich, gehörte sich einfach nicht. Dort standen beziehungsweise, wie meine Mutter sagte, lümmelten sich nämlich die Halbstarken herum. Die Jungs hatten Frisuren, die kraft üppigen Einsatzes von Pomade – Brisk! Und das Haar sitzt! – in der Stirn zu verwegenen Schmalztollen aufgetürmt waren und im Nacken zu schnittigen Entenschwänzen ausliefen, die wie Heckflossen amerikanischer Straßenkreuzer aussahen. Sie trugen Nietenhosen, aus deren Hintertasche der stets einsatzbereite Kamm ragte, messerspitz zulaufende Schuhe, Lederjacken oder Motorradjacken aus glänzendem Skai-Kunstleder oder knapp über der Hüfte sitzende Nylonblousons. Sie rauchten oder kauten Kaugummi, und manche klimperten mit den Schlüsseln ihrer Mopeds. Kurz: sie strunzten. Die Mädchen hatten Pferdeschwänze, kesse Bubiköpfe oder mit Haarspray wetterfest gemachte, seitliche Sechserlocken, trugen hautenge Pepitahosen oder Röcke, die durch Petticoats wie halb aufgespannte Regenschirme vom Körper abstanden.
So standen sie dann lässig ans Geländer gelehnt auf der runden Plattform der Raupenbahn, deren betuliche Geschwindigkeit und sanfte Berg-und-Tal-Führung wie ein weiteres Rummelrelikt aus Omas Zeiten wirkte. Wenn jedoch ein Hupsignal ertönte, wurden die Planen über den Wagen geschlossen, und was dann im Innern dieser fahrenden Liebeslauben vor sich ging, musste grob unanständig sein. Vermutlich ließen sich die heißen Bräute von ihren Brisk-Boyfriends küssen und womöglich sogar an den Busen fassen, bis dann wieder das Hupsignal warnte, das zügellose Treiben einzustellen. Wenn die Planen zurückgeklappt wurden, sah man höchstens noch ein paar züchtig Händchen haltende Paare und das eine oder andere errötete Mädchengesicht.
Ich sah dem Treiben mit entsagungsvollem Staunen zu. Unvorstellbar, dass es mir je gelingen würde, mit einer dieser süßen Bienen gemeinsam unter der Plane zu verschwinden, um ihr, um sie – einfach unvorstellbar. Mir mit ordentlichem, zur Seite gescheiteltem Fassonschnitt, ausrasiertem Nacken, Weißwandreifen über den Ohren und verspäteten Pubertätspickeln auf der Stirn, mir mit braun melierter, etwas zu kurzer Gabardinehose und beigem Anorak, mir mit Rixe-Fahrrad statt Kreidler Florett, mir mit dem einsamen 5-Mark-Stück in der Tasche, mir mit meinen kümmerlichen vierzehndreiviertel Jahren. Unvorstellbar. Heute Abend, im Schutz der als Raupenplane phantasierten Bettdecke, würde ich es mir vielleicht vorzustellen wagen, einhändig, lebensprall, doch zugleich enttäuschend.
Weil ich wusste, dass sich all das nicht gehörte und ich eigentlich auch gar nicht dazugehörte, drückte ich mich an den Rändern herum, mit einem Fuß auf der Plattform, dem anderen auf dem Schotter des Rummelplatzes. Und dann kam Hanna. Kam Arm in Arm und kichernd mit Sabine, ihrer besten Freundin. Hanna im per Petticoat glockig aufgestellten Faltenrock und halbärmeliger Nylonbluse, Sabine in roter Nietenhose und Rollkragenpulli, unter dem sich ihr BH abzeichnete. Ich wollte mich verdrücken, aber Hanna hatte mich schon entdeckt und hielt mich am Arm fest.
»Was machst du denn hier?«, schnappte sie und klang dabei wie meine Mutter. »Das ist nichts für kleine Jungs.«
Sabine gackerte.
»Nix«, sagte ich, »wollte nur mal –« Aber dann fiel mir ein, dass Hannas Erscheinen an der Raupe eigentlich noch viel ungehöriger, wenn nicht gar skandalöser war als meine demütige Randexistenz. Gab sie, die angehende Abiturientin, sich etwa mit Halbstarken ab? Mit Schmalztollenträgern, Entenschwanzproleten und ordinären Knatterprotzen, wie Oma die Mopedfahrer nannte? »Und was machst du hier?«, konterte ich also ihr Vonobenherab. »Wenn das Mutti und Vati wüssten! Au Backe!«
»Ich bin nur wegen der Musik hier«, sagte sie schnippisch, folgte Sabine auf die Plattform, drehte sich aber noch einmal zu mir um und giftete: »Zieh Leine!«
Das mit der
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