Klack: Roman (German Edition)
Zaun jetzt noch viel kaputter«, sagte ich.
»Nun werd du nicht auch noch frech«, schnappte Oma. »Das Flittchen von drüben hat dir wohl den Kopf verdreht.«
Meine Mutter mühte sich um Deeskalation der sich zuspitzenden Lage. »Nimm doch noch etwas Schlagsahne zum Kuchen, Mutti.«
Muttis Mutti griff zwar zur Sahne, heizte den Kalten Krieg aber dennoch weiter an. »Das ist Sachbeschädigung«, sagte sie, »derartige Übergriffe lassen wir uns nicht bieten. Was sollen die Nachbarn denken? So geht es nicht. Jetzt werden andere Saiten aufgezogen.«
»Nun lass mal gut sein«, meinte mein Vater. »Es hätte ja alles viel schlimmer kommen können. Wenn man bedenkt, was in Hamburg passiert ist. Von Hochwasser kann ich euch ein Lied singen. Beim Vormarsch auf Stalingrad, als der Don über die Ufer trat, haben wir bis zu den Hüften im Wasser gestanden. Der Iwan lag am anderen Ufer und – wie gesagt, es hätte schlimmer kommen –«
»Ja, Papa«, sagte Hanna und verdrehte die Augen, »aber Hochwasser hatten wir auch. Der Keller ist über Nacht vollgelaufen, und wir haben stundenlang geschuftet, bis er wieder trocken war.«
»Um Gottes willen«, stöhnte meine Mutter. »Der Eichhörnchenvorrat!«
»Es ist nicht so schlimm«, sagte Hanna, »nur die Kartoffeln sind nass geworden. Und Papas Sonnenblumenkerne.«
Mein Vater zuckte zusammen, als hätte man ihm einen Schlag auf den Kopf gegeben. »War gar nicht so leicht, die zu beschaffen. Der Mann in der Samenhandlung hat mich gefragt, ob ich eine Vogelzucht betreiben wolle. Der hatte ja keine Ahnung vom Krieg, muss wohl ein Etappenhengst gewesen –«
»Und wisst ihr, wer uns geholfen hat, euren dämlichen Atomkriegsproviant zu retten?«, sagte Hanna erbost.
»Die Nachbarn doch wohl«, sagte Oma. »Vermutlich Raabes von gegenüber, weil –«
»Ganz recht, unsere Nachbarn«, sagte Hanna. »Aber nicht die feinen Raabes, sondern unsere Nachbarn aus dem Schandfleck, Herr Tinotti mit seiner Tochter. Sogar der kleine Enzo hat mitgeholfen. Rührend. Und alles ohne Gummistiefel. Haben sich für unseren Keller auch noch die Schuhe ruiniert.«
Hanna blickte trotzig und irgendwie triumphierend in die Runde. Für einen Moment herrschte Schweigen. Mein Vater zählte zwei Stückchen Assugrin in die Kaffeetasse und rührte um, dass es klingelte. Im Radio sang dazu Vico Torriani »Kalkutta liegt am Ganges, Paris liegt an der Seine, und dass ich so verliebt bin, das liegt an Madeleine«. Trat nicht auch der Ganges ständig über seine Ufer? Meine Mutter zupfte sich nachdenklich am Ohrläppchen. Oma zerbröselte die geblümte Papierserviette zu unansehnlichen Klümpchen und nickte mit düsterer Miene vor sich hin, als wollte sie sagen, sie habe es ja schon immer gewusst.
Allerdings sagte sie dann etwas anderes. »Ihr habt also diese –, diese Leute in unseren Keller gelassen? Man fasst es nicht.« Sie griff sich stöhnend an die Brust, als bekäme sie einen Herzinfarkt. »So kann es nicht mehr weitergehen.«
Aber Vico Torriani sang immer noch. »Am schönen Rhein liegt Basel, und Kairo liegt am Nil, doch ich träum von Madeleine, an der liegt mir viel.«
Und ich fragte mich, wie es bei Hochwasser wohl in den Kellern am Rhein oder Nil zugehen mochte und ob Vico Torriani überhaupt ein echter Italiener war.
Pornographie auf ihrem Klavier war schon schlimm genug, das unbefugte Durchtrennen der Grenzbefestigungsanlage noch schlimmer, aber dass der Feind von drüben unter dem Vorwand, helfen zu wollen, in voller Truppenstärke in ihr Haus eingedrungen war, traf Oma ins Mark. Gleich nach dem Kaffeetrinken brach sie zu einem Inspektionsgang durch den Keller auf und befahl mir, sie als »Belastungszeuge« zu begleiten. Im Verlauf ihrer Ehe hatte sie von Opa ein paar juristische Floskeln aufgeschnappt. Was sie im Keller suchte, wusste sie vermutlich selber nicht, aber irgendwelche »belastenden Indizien« würden sich schon finden lassen. Sie kontrollierte alle Räume, schaute in jeden Winkel, doch abgesehen von den durchnässten Säcken mit Mehl und Sonnenblumenkernen, den abgesoffenen Kartoffeln und einigen letzten Wasserlachen sah es im Keller eigentlich wie immer aus. Oma war enttäuscht. Unter der Kellertreppe gab es einen Verschlag, der etwas hochtrabend als Weinkeller bezeichnet wurde, weil dort Bier- und Saftkisten standen und in einem Holzregal Wein- und Schnapsflaschen lagerten, die meisten noch aus Opas Zeiten. Oma verschränkte die Arme vor der Brust und begann halblaut zu
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