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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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zählen.
    »Eins, zwei, drei Flaschen Rotspon. Ein Verpoorten. Vier Liebfrauenmilch. Ein Alter Hullmann. Zwei Edelzwicker. Zwei Knatterberg Cuvée. Drei Kröver Nacktarsch. Ein Scharlachberg. Eins, zwei, drei – Momentchen mal.« Omas strenge Miene löste sich zu einem sardonischen Hab-ich’s-doch-gewusst-Lächeln auf. »Nur drei Nacktarsch? Ich weiß genau, dass es noch vier waren. Ich hatte einen 6er Karton, zwei Flaschen sind an Silvester getrunken worden. Wo ist die dritte?«
    Ich zuckte zusammen, weil ich haargenau wusste, wo die dritte Flasche geblieben war. Gab es in der Rechtsgeschichte je ein belastenderes Indiz? Nie war es einfacher, Hanna in die Pfanne zu hauen, mich für ihre Hochnäsigkeiten und Blasiertheiten zu rächen, für ihr herablassendes Getue und ihre Petzereien. Ein Wort von mir, und Hanna wäre vernichtet. Aber im gleichen Moment erinnerte ich mich daran, wie wir im Keller zusammengearbeitet hatten, geschwisterlich vereint, und an das warme Gefühl, das ich ihr gegenüber empfunden hatte.
    »Kannst du mir vielleicht sagen, wo die dritte Flasche Kröver geblieben ist?«, fragte Oma streng, gab sich aber gleich selbst die Antwort. »Ach Gott, Junge, woher sollst du das auch wissen?«
    Oma machte mich wieder mal klein und dumm und hielt mich für ahnungslos. Das erbitterte mich. Ich wusste doch alles! Ich war der Herr der Lage. Und ich behielt kühl die Kontrolle. Hanna einfach so zu verpetzen wäre strategisch unklug gewesen. Wenn ich ihr gegenüber durchblicken ließe, was ich gegen sie in der Hand hatte, wäre sie auf ewig meine Geisel. Also schüttelte ich nur schweigend den Kopf und unterdrückte ein allwissendes Lächeln.
    »Aber ich weiß es«, sagte Oma. »Ich habe es immer schon gewusst. Dies dreiste Diebespack von drüben! Das schlägt dem Fass den Boden aus.«
    Jetzt hatte Oma also Tinottis im Verdacht. Das war ja schrecklich. Was sollte ich tun? Hanna den Dolch in den Rücken stoßen? Oder Clarissa opfern? War das nicht schon ein geradezu tragischer Konflikt, wie wir ihn neulich im Deutschunterricht durchgenommen hatten? Und ich war der tragische Held, der, was immer er tut, etwas Falsches tut, tun muss. Ich kam mir erbärmlich vor und zugleich großartig. Ich war der Mann, von dem alles abhing. In meinen Händen lagen Schicksale. Ich konnte den Daumen heben oder senken, wie es mir passte. Oma ahnte ja gar nicht, wen sie da vor sich hatte.
    »Was willst du denn jetzt tun?«, erkundigte ich mich scheinheilig. »Die Polizei rufen?«
    Oma überlegte einen Moment und winkte dann ab. »Was soll das bringen? Diese Zigeuner werden die Flasche längst getrunken haben. Oder verkauft. Nein, nein, nicht die Polizei. Siefken muss her. Und zwar schnell.«

    So schnell, wie Oma es gern gehabt hätte, ging es aber nicht. Siefkens Bauunternehmen schwelgte in Hochkonjunktur, stampfte hier Nullachtfuffzehn-Wohnblocks des sozialen Wohnungsbaus aus dem Boden, errichtete dort protzige Bungalows mit Wänden aus Glasbausteinen, hinter denen beheizbare Swimmingpools schimmerten, baute nach Entwürfen eines modernen Architekten eine evangelische Kirche, deren Schiff wie eine Garage und deren Turm wie ein Getreidesilo aussah. Ex-Maurergeselle Siefken, dessen Firma inzwischen Siefken-Hoch-Tief GmbH & Co. KG hieß, konnte sich vor Aufträgen gar nicht mehr retten, klagte über akuten Arbeitskräftemangel und hatte, der Not gehorchend, inzwischen sogar Gastarbeiter aus Südeuropa angeheuert.
    Im Übrigen fuhr Herr Siefken jetzt nicht mehr Borgward, sondern einen BMW 3200 S Cabriolet. Unter den sogenannten Barockengeln dieser Baureihe war das der Erzengel, ein Auto, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte, Kotflügel wie aufgespannte, majestätische Schwingen, sensationelle 8 Zylinder, unfassbare 160 PS, sagenhafte 190 km/h Höchstgeschwindigkeit, sparsame 18 Liter Benzinverbrauch auf 100 km. Rubinrot. Kostenpunkt: 22 000 DM. Ein Vermögen. Siefken hatte es.
    Und irgendwann hatte Siefken dann sogar Zeit für Oma. Das heißt, natürlich nicht Siefken persönlich, der sich mit derlei Firlefanz gar nicht mehr abgab und den Auftrag nur annahm, weil er sich Opa verpflichtet fühlte, der ihn als Richter vor einigen Jahren vom Vorwurf der Bestechlichkeit freigesprochen hatte, sondern drei seiner Angestellten, nämlich ein deutscher Maurergeselle sowie ein Hilfsarbeiter aus Portugal und einer aus der Türkei. Sie rückten in einem VV-Bulli an und brachten auf dessen verlängerter Pritsche und einem Anhänger das

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